Im Rahmen des Seminars »Körperkultur und Zeitgeist« im Teilstudiengang »Kosmetikwissenschaften« an der Universität Hamburg haben wir uns auf die Suche nach aktuellen Körperbildern und deren Ursprüngen gemacht.
Die immer wiederkehrenden Begriffe wie »Schönheitswahn« und »Körperkult« führen nicht selten zu Aussagen, in denen mit moralisch erhobenem Zeigefinger oder apokalyptisch anmutenden Zukunftsszenarien das Ende der menschlischen Natur prophezeit wird. Hier einen möglichst objektiven und distanzierten Einblick in das Thema zu bekommen, ist dadurch nicht immer leicht.
Wir haben uns zunächst mit möglichst sinnvoll abgrenzbaren (Einzel)Phänomen beschäftigt, die möglicherweise in einer Gesamtschau mehr als ein Nebeneinander von Teilbereichen zum Thema darstellen, sondern eine erste Vorstellung von den Bedeutungen und den Hintergründen heutiger Körperbilder herausfordert.
Mit diesem wissenschaftlich-theoretischen Blick auf uns, unsere Körper und unsere Gesellschaft waren wir allerdings nicht zufrieden. So begaben wir uns in das hauseigene Fotostudio und inszenierten unsere eigenen Bilder. Diese waren vielfach durch das Textstudium angeregt, aber die experimentelle Komponente des Entdeckens sollte der leitende Impuls sein.
Die enstandenen Bilder und Texte sind auf diesem Blog zu finden.
Klaus Möller (Lehrbeauftrager)
Fragen und Anregungen bitte an
k.moeller @ screenshock. com [Leerstellen löschen]
http://www.klausmoeller.net
körperkultur und zeitgeist
Freitag, 9. Juli 2010
Körper und Mode - Körperinszenierung
MD
Mode ist ein zentraler Bestandteil unserer Kultur. Sie drückt die Identität des Einzelnen, im engeren Sinne also den Menschen und seinen Körper aus, ob man sich dessen bewusst ist oder nicht. Die Wahl der Kleidung offenbart sehr viel über das eigene Selbstverständnis und über das Bild, welches wir nach außen vermitteln möchten. Mode kann den Körper schmücken, ihm Bedeutung und Macht verleihen, ihm zu sozialem Ansehen verhelfen, ihn begehrenswert und schön erscheinen lassen.
Erst das Zusammenspiel von dreidimensionalem, beweglichem Körper und ursprünglich lebloser Materie macht Mode lebendig und zur Mode. (vgl. Antoni-Komar 2001, S. 127) Mode und Körper, genauer gesagt Mode und Körperideal hängen also unauflöslich zusammen.
Die Wahrnehmung unserer Körper wird ebenfalls durch die Mode geprägt. Welches Körperideal wir gerade bevorzugen, hängt also sehr stark ab von der jeweilig vorherrschenden Mode. Die Kunsthistorikerin Anne Hollander kommt in diesem Zusammenhang zu einer interessanten Erkenntnis. Sie stellt anhand der künstlerischen Darstellungen des Körpers in der Geschichte fest:
„Wenn ausladende Moden modern sind, werden nackte Körper üppig dargestellt. Wenn die Mode die weiblichen Brüste flachpresst, haben weibliche Akte winzige Brüste, etc.“ (Antoni-Komar 2001, S. 128)
Jede Mode bedingt bzw. beinhaltet also ein bestimmtes Körperbild, welches das Ideal der jeweiligen Mode zum Ausdruck bringt.
Besonders für Frauen ist Mode seit jeher mit dem Streben nach Schönheit, Eleganz und Raffinesse verbunden. Sie verhüllt und verbirgt die Körperformen oftmals nur, um sie umso deutlicher zu offenbaren. Die Mode der Frau, welche nicht selten von Männern entworfen wird, dient vielfach dem Zweck das Begehren von Männern zu wecken. Zu diesem Zweck wird ihr Körper seit dem Mittelalter auf vielfältige Art modelliert, in seinen Reizen betont und ungeachtet der anatomischen Voraussetzungen gewaltsam deformiert oder grotesk überformt. Je nach geltendem Schönheitsideal wirkt ein solchermaßen geschmückter oder geschundener Körper dann besonders aufreizend. (vgl. Dietrich 2004, in: femme fashion, S. 202) Das Tragen des Korsetts spielt dabei über Jahrhunderte eine maßgebliche und aufgrund der gesundheitsschädlichen Wirkung auch eine tragische Rolle.
Die Modegeschichte des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts erlebt eine tiefgreifende Entwicklung. Die Vorstellung geht weg von der Kleider-Mode und hin zur Körper-Mode. Dabei markiert das Ablegen des Korsetts, im Rahmen der Frauen- und Kleiderreformbewegung als Befreiung von einem „modernen Folterinstrument“ propagiert, am Ende des 19. Jahrhunderts einen zentralen Wendepunkt. (vgl. Gaugele 2004, in: femme fashion, S. 58) Der weibliche Körper gilt nun nicht mehr als passiv, sondern sollte gestrafft und aktiviert werden. Zeitgleich kündigt sich in der zweiten Phase der Industrialisierung eine Veränderung der starren Gegenüberstellung männlicher und weiblicher Mode an. (Vgl. Ellwanger 2004, in: femme fashion, S. 84)
Mode und Körper - Geschlechterinszenierung
Kleidung ist heute im Grunde nicht mehr geschlechterspezifisch. Was früher durch die geschlechtlich klar getrennte Mode auf den ersten Blick kenntlich war, weicht einer immer größeren Variabilität der Kleidung und damit einhergehender Verunsicherung der Geschlechtsmarkierungen. Geschlecht wird jeden Tag neu aktiv hergestellt und neu interpretiert, indem wir unseren Geschlechtskörper durch Mode inszenieren, überhöhen, ‚veruneindeutigen’ oder verstecken können. Hierdurch entsteht ein Paradoxon:
„Während historisch bereits der verhüllte Körper biologisch eindeutig gekennzeichnet war, muss er im 21. Jahrhundert […] zur primären geschlechtlichen Identifizierung wieder vollständig entblößt werden.“ (Brandes 2004, in: femme fashion, S. 156)
Die soziale Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit wird in der Vergangenheit immer auch durch Körpergestaltung (Frisur, Kleidung, Accessoires) trennend hervorgehoben. Die heutzutage stattfindende Körper- und Hüllendiversifikation bringt hingegen körperliche und modische „Paralleluniversen“ hervor. (Vgl. ebd., S. 156)
Diese Paralleluniversen der Mode beziehen sich auf die Gleichzeitigkeit verschiedener Entwürfe oder Modellierungen eines einzigen Körpers. Früher gab es meist nur die Unterscheidung zwischen Alltags- und Sonntagskleidung. Heute jedoch gestaltet sich die Auswahl der Kleidung deutlich komplexer und geht auf in einer außerordentlichen „Vielgesichtigkeit“. (Vgl. ebd., S. 156) Die meisten Menschen gehören heute nicht mehr nur einer einzigen modischen Zielgruppe, sondern so vielen gleichzeitig an, dass der Begriff seine Bedeutung praktisch verliert.
Die Mode und die heutigen Körpervorstellungen insgesamt bedingen im Grunde für beide Geschlechter eine ex- und intensive Beschäftigung mit ihren Körpern. Die idealisierten weiblichen Körper reichen von anorektischen und bulimischen über knabenhaft-androgyne bis zu Barbie-ähnlichen. Wobei diese Vorstellungen sowohl psychische Probleme anzeigen können als auch enormes körperliches Training erfordern oder permanenter Esskontrolle bedürfen. (Vgl. ebd., S. 160)
Literatur:
Antoni-Komar, Irene (Hrsg.): Moderne Körperlichkeit: Körper als Orte ästhetischer Erfahrung, Bremen 2001.
Brattig, Patricia (Hrsg.): In. femme fashion 1780-2004. Die Modellierung des Weiblichen in
der Mode, Stuttgart 2004.
Mode ist ein zentraler Bestandteil unserer Kultur. Sie drückt die Identität des Einzelnen, im engeren Sinne also den Menschen und seinen Körper aus, ob man sich dessen bewusst ist oder nicht. Die Wahl der Kleidung offenbart sehr viel über das eigene Selbstverständnis und über das Bild, welches wir nach außen vermitteln möchten. Mode kann den Körper schmücken, ihm Bedeutung und Macht verleihen, ihm zu sozialem Ansehen verhelfen, ihn begehrenswert und schön erscheinen lassen.
Erst das Zusammenspiel von dreidimensionalem, beweglichem Körper und ursprünglich lebloser Materie macht Mode lebendig und zur Mode. (vgl. Antoni-Komar 2001, S. 127) Mode und Körper, genauer gesagt Mode und Körperideal hängen also unauflöslich zusammen.
Die Wahrnehmung unserer Körper wird ebenfalls durch die Mode geprägt. Welches Körperideal wir gerade bevorzugen, hängt also sehr stark ab von der jeweilig vorherrschenden Mode. Die Kunsthistorikerin Anne Hollander kommt in diesem Zusammenhang zu einer interessanten Erkenntnis. Sie stellt anhand der künstlerischen Darstellungen des Körpers in der Geschichte fest:
„Wenn ausladende Moden modern sind, werden nackte Körper üppig dargestellt. Wenn die Mode die weiblichen Brüste flachpresst, haben weibliche Akte winzige Brüste, etc.“ (Antoni-Komar 2001, S. 128)
Jede Mode bedingt bzw. beinhaltet also ein bestimmtes Körperbild, welches das Ideal der jeweiligen Mode zum Ausdruck bringt.
Besonders für Frauen ist Mode seit jeher mit dem Streben nach Schönheit, Eleganz und Raffinesse verbunden. Sie verhüllt und verbirgt die Körperformen oftmals nur, um sie umso deutlicher zu offenbaren. Die Mode der Frau, welche nicht selten von Männern entworfen wird, dient vielfach dem Zweck das Begehren von Männern zu wecken. Zu diesem Zweck wird ihr Körper seit dem Mittelalter auf vielfältige Art modelliert, in seinen Reizen betont und ungeachtet der anatomischen Voraussetzungen gewaltsam deformiert oder grotesk überformt. Je nach geltendem Schönheitsideal wirkt ein solchermaßen geschmückter oder geschundener Körper dann besonders aufreizend. (vgl. Dietrich 2004, in: femme fashion, S. 202) Das Tragen des Korsetts spielt dabei über Jahrhunderte eine maßgebliche und aufgrund der gesundheitsschädlichen Wirkung auch eine tragische Rolle.
Die Modegeschichte des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts erlebt eine tiefgreifende Entwicklung. Die Vorstellung geht weg von der Kleider-Mode und hin zur Körper-Mode. Dabei markiert das Ablegen des Korsetts, im Rahmen der Frauen- und Kleiderreformbewegung als Befreiung von einem „modernen Folterinstrument“ propagiert, am Ende des 19. Jahrhunderts einen zentralen Wendepunkt. (vgl. Gaugele 2004, in: femme fashion, S. 58) Der weibliche Körper gilt nun nicht mehr als passiv, sondern sollte gestrafft und aktiviert werden. Zeitgleich kündigt sich in der zweiten Phase der Industrialisierung eine Veränderung der starren Gegenüberstellung männlicher und weiblicher Mode an. (Vgl. Ellwanger 2004, in: femme fashion, S. 84)
Mode und Körper - Geschlechterinszenierung
Kleidung ist heute im Grunde nicht mehr geschlechterspezifisch. Was früher durch die geschlechtlich klar getrennte Mode auf den ersten Blick kenntlich war, weicht einer immer größeren Variabilität der Kleidung und damit einhergehender Verunsicherung der Geschlechtsmarkierungen. Geschlecht wird jeden Tag neu aktiv hergestellt und neu interpretiert, indem wir unseren Geschlechtskörper durch Mode inszenieren, überhöhen, ‚veruneindeutigen’ oder verstecken können. Hierdurch entsteht ein Paradoxon:
„Während historisch bereits der verhüllte Körper biologisch eindeutig gekennzeichnet war, muss er im 21. Jahrhundert […] zur primären geschlechtlichen Identifizierung wieder vollständig entblößt werden.“ (Brandes 2004, in: femme fashion, S. 156)
Die soziale Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit wird in der Vergangenheit immer auch durch Körpergestaltung (Frisur, Kleidung, Accessoires) trennend hervorgehoben. Die heutzutage stattfindende Körper- und Hüllendiversifikation bringt hingegen körperliche und modische „Paralleluniversen“ hervor. (Vgl. ebd., S. 156)
Diese Paralleluniversen der Mode beziehen sich auf die Gleichzeitigkeit verschiedener Entwürfe oder Modellierungen eines einzigen Körpers. Früher gab es meist nur die Unterscheidung zwischen Alltags- und Sonntagskleidung. Heute jedoch gestaltet sich die Auswahl der Kleidung deutlich komplexer und geht auf in einer außerordentlichen „Vielgesichtigkeit“. (Vgl. ebd., S. 156) Die meisten Menschen gehören heute nicht mehr nur einer einzigen modischen Zielgruppe, sondern so vielen gleichzeitig an, dass der Begriff seine Bedeutung praktisch verliert.
Die Mode und die heutigen Körpervorstellungen insgesamt bedingen im Grunde für beide Geschlechter eine ex- und intensive Beschäftigung mit ihren Körpern. Die idealisierten weiblichen Körper reichen von anorektischen und bulimischen über knabenhaft-androgyne bis zu Barbie-ähnlichen. Wobei diese Vorstellungen sowohl psychische Probleme anzeigen können als auch enormes körperliches Training erfordern oder permanenter Esskontrolle bedürfen. (Vgl. ebd., S. 160)
Literatur:
Antoni-Komar, Irene (Hrsg.): Moderne Körperlichkeit: Körper als Orte ästhetischer Erfahrung, Bremen 2001.
Brattig, Patricia (Hrsg.): In. femme fashion 1780-2004. Die Modellierung des Weiblichen in
der Mode, Stuttgart 2004.
Körper machen Leute – Der Wandel der Körperlichkeit
JH
„Nirgendwo ist der Körper die bloße Oberfläche des Wesens, der unberührte Strand ohne Spuren, die Natur.“, schreibt die Mode-Wissenschaftlerin Irene Antoni-Komar zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Sie wirft die Frage auf, ob es Ende des 19. Jahrhunderts einen Perspektivenwechsel hinsichtlich der Körperlichkeit gab, die in Mode und Kunst thematisiert wird. Das Ideal des Körperlichen ist ein Ideal, das keine Spuren des Lebens und des Arbeitens offenbaren darf, makellos und gesund erscheinen muss. Kann hier etwa von einem Aufbruch gesprochen werden? Als ein Mitverursacher dieses möglichen Aufbruchs galt der Fotograf Nick Knight. Ende der 90er Jahre setzte er in seinen Fotografien körperlich behinderte Models gekonnt in Szene und stellte so das weit verbreitete, propagierte Bild von perfekter Makellosigkeit der „unperfekten“ Körperlichkeit in perfekter Inszenierung gegenüber.
Körperlichkeit rückt Ende des 19. Jahrhunderts stärker in den Blickpunkt. Dies zeige sich laut dem Sportsoziologen Volker Rittner in einer „Ästhetisierung der körperlichen Erscheinung“. Bekleidung, Kosmetik, Fitness, diszipliniertes Essverhalten, aber auch drastischere Eingriffe in die Natur des Körpers wie die ästhetisch-plastische Chirurgie stellen nur wenige Möglichkeiten dar, seinen Körper zu gestalten. Es entstand eine neue Leitfigur: der „homo aestheticus“, woraus sich ein regelrechter Kult entwickelte. Deutlich wird dies unter anderem durch ein gesteigertes Interesse an sportlichen Aktivitäten.
Aber was verursachte diesen aufsteigenden Kult um die ästhetische Erscheinung? Eine Ursache sei ein Umdenken hinsichtlich der Gestaltungsmöglichkeiten des eigenen Körpers. Es entwickeln sich völlig neue Freiheitsgrade in Bezug auf die körperliche Gestaltung. Der menschliche Körper kann vielfältig und individuell geformt werden und gilt fortan nicht mehr als Schicksal der Natur. Vielmehr ist es die eigene Verantwortung und die Individualität jedes Einzelnen, die verantwortet, wie der Körper durch Form, Farbe und Funktion gestaltet wird. Somit ist der Körper zum Produkt und Symbol von Leistung, Selbstdisziplin, Kreativität und Modernität geworden. Dies ermöglicht eine soziale Unterscheidung anhand der körperlichen Erscheinung.
Betrachtet man die historische und die gegenwärtige Körperlichkeit, so lässt sich der Prozess des Wandels aus unterschiedlichen Perspektiven erklären. Unter anderem spielen die „Distanzierung“ und „Disziplinierung“, aber auch die „Inszenierung“ und die „Thematisierung“ des Köpers eine wichtige Rolle. Alle vier Begrifflichkeiten umrahmen den Prozess des Verschwindens und der Wiederkehr des Körpers, wobei sich die Auffassung des Körpers als Produkt sowie als Produzent von Kultur herauskristallisiert. Wenn es in der damaligen Zeit die Kleidung ist, wodurch der Mensch seinen Körper formt und modelliert, so steht in der heutigen Zeit der menschliche Körper selbst als Gestaltungsobjekt im Mittelpunkt.
Eine Betrachtung der sozio-kulturellen Entwicklung zeigt die Kleidung einst durch Verhüllung als Distanzierung zum Körper und zum Geschlecht, aber auch eine Disziplinierung des Körpers, indem sie den Körper zum Medium der bürgerlichen Ordnung werden läßt. Weiter geht die Entwicklung über das Zeitalter der Technisierung. Rationale Handlungslogiken setzen sich durch, was zu einer Vorstellung vom Körper als Maschine und somit mehr und mehr als Objekt führt und ein mechanistisches Körperbild entstehen läßt. Als der Körper ausgehenden vom 19. Jahrhundert als ausschießliches Arbeitinstrument nicht mehr zufriedenstellt, fängt der Mensch wieder an, die Welt sowie Gefühle über den Körper wahrzunehmen. Als anwesend-gegenwärtige und eigene Wirklichkeit wird die neu wahrgenommene Körperlichkeit wiederentdeckt. Mit der „Wiederkehr des Körpers“ entsteht an diesem Wendepunkt die Idee einer gesunden Lebensweise. Symbol der gesellschaftlichen Erneuerung ist der nackte Körper. Das Interesse am „natürlichen“ Körper wächst in dieser Zeit.
Diese Entwicklung reicht bis zum Ende der Kultur der Nachkriegszeit in den 1960er Jahren, wo es zu einem sogenannten „radikalen Schub der Entblößung“ kam. Dieser Schub bildet einen bedeutenden Bestandteil der Moderne und gleichzeitig eine kulturelle Grundlage des 20. Jahrhunderts.
Mit dem Rückgang materieller Sorgen und mit dem wachsenden Wunsch nach Bedürfnisbefriedigung ist gegenwärtig der Körper selbst, wie eingangs erwähnt, ein Gestaltungsprojekt, das vielfältig und individuell stilisiert werden kann.
Der Körper wird zum Symbolträger der Erlebnisgesellschaft und zum Verwalter seiner eigenen Subjektivität. Er ist in der Lage, sein Innenleben selbst zu manipulieren. Nicht mehr das „Über-Leben“, sondern vielmehr das „Er-Leben“ steht nun im Mittelpunkt.
Seit Ende des 20. Jahrhunderts bezieht sich das Schönheitsideal weniger auf den bekleideten, als auf den nackten Körper, wodurch es eine völlig neue Qualität bekommt. So scheint es nicht mehr unmodern zu sein, „falsche“ Kleidung zu tragen. Jedoch werden jene, die sich scheinbar nicht um ihren Körper kümmern zu Benachteiligten. Die Redewendung „Kleider machen Leute“ wirkt daher nicht mehr aktuell. Folglich stellt sich doch die Frage, ob eine Umformulierung dieser Redewendung zu „Körper machen Leute“ angebracht wäre?
Bildquelle:
Aimée Mullins, fotografiert von Nick Knight,
in: Zeitmagazin, 5. Februar 1998
http://www.bildwissenschaft.org/own/journal/img/upload/8e540864013c4a3a5b79c4138dc89bb2.jpg (03.06.2010)
Literaturquelle:
Antoni-Komar, Irene (2001): Moderne Körperlichkeit: Körper als Orte ästhetischer Erfahrung (S. 16-27)
Internettipp zum Thema:
http://www.ted.com/talks/lang/ger/aimee_mullins_prosthetic_aesthetics.html
„Nirgendwo ist der Körper die bloße Oberfläche des Wesens, der unberührte Strand ohne Spuren, die Natur.“, schreibt die Mode-Wissenschaftlerin Irene Antoni-Komar zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Sie wirft die Frage auf, ob es Ende des 19. Jahrhunderts einen Perspektivenwechsel hinsichtlich der Körperlichkeit gab, die in Mode und Kunst thematisiert wird. Das Ideal des Körperlichen ist ein Ideal, das keine Spuren des Lebens und des Arbeitens offenbaren darf, makellos und gesund erscheinen muss. Kann hier etwa von einem Aufbruch gesprochen werden? Als ein Mitverursacher dieses möglichen Aufbruchs galt der Fotograf Nick Knight. Ende der 90er Jahre setzte er in seinen Fotografien körperlich behinderte Models gekonnt in Szene und stellte so das weit verbreitete, propagierte Bild von perfekter Makellosigkeit der „unperfekten“ Körperlichkeit in perfekter Inszenierung gegenüber.
Körperlichkeit rückt Ende des 19. Jahrhunderts stärker in den Blickpunkt. Dies zeige sich laut dem Sportsoziologen Volker Rittner in einer „Ästhetisierung der körperlichen Erscheinung“. Bekleidung, Kosmetik, Fitness, diszipliniertes Essverhalten, aber auch drastischere Eingriffe in die Natur des Körpers wie die ästhetisch-plastische Chirurgie stellen nur wenige Möglichkeiten dar, seinen Körper zu gestalten. Es entstand eine neue Leitfigur: der „homo aestheticus“, woraus sich ein regelrechter Kult entwickelte. Deutlich wird dies unter anderem durch ein gesteigertes Interesse an sportlichen Aktivitäten.
Aber was verursachte diesen aufsteigenden Kult um die ästhetische Erscheinung? Eine Ursache sei ein Umdenken hinsichtlich der Gestaltungsmöglichkeiten des eigenen Körpers. Es entwickeln sich völlig neue Freiheitsgrade in Bezug auf die körperliche Gestaltung. Der menschliche Körper kann vielfältig und individuell geformt werden und gilt fortan nicht mehr als Schicksal der Natur. Vielmehr ist es die eigene Verantwortung und die Individualität jedes Einzelnen, die verantwortet, wie der Körper durch Form, Farbe und Funktion gestaltet wird. Somit ist der Körper zum Produkt und Symbol von Leistung, Selbstdisziplin, Kreativität und Modernität geworden. Dies ermöglicht eine soziale Unterscheidung anhand der körperlichen Erscheinung.
Betrachtet man die historische und die gegenwärtige Körperlichkeit, so lässt sich der Prozess des Wandels aus unterschiedlichen Perspektiven erklären. Unter anderem spielen die „Distanzierung“ und „Disziplinierung“, aber auch die „Inszenierung“ und die „Thematisierung“ des Köpers eine wichtige Rolle. Alle vier Begrifflichkeiten umrahmen den Prozess des Verschwindens und der Wiederkehr des Körpers, wobei sich die Auffassung des Körpers als Produkt sowie als Produzent von Kultur herauskristallisiert. Wenn es in der damaligen Zeit die Kleidung ist, wodurch der Mensch seinen Körper formt und modelliert, so steht in der heutigen Zeit der menschliche Körper selbst als Gestaltungsobjekt im Mittelpunkt.
Eine Betrachtung der sozio-kulturellen Entwicklung zeigt die Kleidung einst durch Verhüllung als Distanzierung zum Körper und zum Geschlecht, aber auch eine Disziplinierung des Körpers, indem sie den Körper zum Medium der bürgerlichen Ordnung werden läßt. Weiter geht die Entwicklung über das Zeitalter der Technisierung. Rationale Handlungslogiken setzen sich durch, was zu einer Vorstellung vom Körper als Maschine und somit mehr und mehr als Objekt führt und ein mechanistisches Körperbild entstehen läßt. Als der Körper ausgehenden vom 19. Jahrhundert als ausschießliches Arbeitinstrument nicht mehr zufriedenstellt, fängt der Mensch wieder an, die Welt sowie Gefühle über den Körper wahrzunehmen. Als anwesend-gegenwärtige und eigene Wirklichkeit wird die neu wahrgenommene Körperlichkeit wiederentdeckt. Mit der „Wiederkehr des Körpers“ entsteht an diesem Wendepunkt die Idee einer gesunden Lebensweise. Symbol der gesellschaftlichen Erneuerung ist der nackte Körper. Das Interesse am „natürlichen“ Körper wächst in dieser Zeit.
Diese Entwicklung reicht bis zum Ende der Kultur der Nachkriegszeit in den 1960er Jahren, wo es zu einem sogenannten „radikalen Schub der Entblößung“ kam. Dieser Schub bildet einen bedeutenden Bestandteil der Moderne und gleichzeitig eine kulturelle Grundlage des 20. Jahrhunderts.
Mit dem Rückgang materieller Sorgen und mit dem wachsenden Wunsch nach Bedürfnisbefriedigung ist gegenwärtig der Körper selbst, wie eingangs erwähnt, ein Gestaltungsprojekt, das vielfältig und individuell stilisiert werden kann.
Der Körper wird zum Symbolträger der Erlebnisgesellschaft und zum Verwalter seiner eigenen Subjektivität. Er ist in der Lage, sein Innenleben selbst zu manipulieren. Nicht mehr das „Über-Leben“, sondern vielmehr das „Er-Leben“ steht nun im Mittelpunkt.
Seit Ende des 20. Jahrhunderts bezieht sich das Schönheitsideal weniger auf den bekleideten, als auf den nackten Körper, wodurch es eine völlig neue Qualität bekommt. So scheint es nicht mehr unmodern zu sein, „falsche“ Kleidung zu tragen. Jedoch werden jene, die sich scheinbar nicht um ihren Körper kümmern zu Benachteiligten. Die Redewendung „Kleider machen Leute“ wirkt daher nicht mehr aktuell. Folglich stellt sich doch die Frage, ob eine Umformulierung dieser Redewendung zu „Körper machen Leute“ angebracht wäre?
Bildquelle:
Aimée Mullins, fotografiert von Nick Knight,
in: Zeitmagazin, 5. Februar 1998
http://www.bildwissenschaft.org/own/journal/img/upload/8e540864013c4a3a5b79c4138dc89bb2.jpg (03.06.2010)
Literaturquelle:
Antoni-Komar, Irene (2001): Moderne Körperlichkeit: Körper als Orte ästhetischer Erfahrung (S. 16-27)
Internettipp zum Thema:
http://www.ted.com/talks/lang/ger/aimee_mullins_prosthetic_aesthetics.html
Schönheitshandeln -Warum machen wir uns schön?
JS
Erfolgreiches Leben in der Gesellschaft
Körperliche Attraktivität gehört heutzutage zu einem immer wichtiger werdenden Mittel für ein erfolgreiches Leben in der Gesellschaft. Gutes Aussehen öffnet so manche Türen und kann entscheidene Vorteile bei der Partnersuche bringen. Schönheit kann als Kapital gesehen werden, das sowohl die private wie die berufliche Laufbahn mitbestimmt. Schönheit hat mit sozialem Erfolg zu tun, denn wer sich jung, gepflegt und schlank präsentiert, dem werden unbewusst positive Eigenschaften wie Gesundheit oder Willenskraft zugeschrieben (vgl. Mang 2009).
Schönheitshandeln zur sozialen Positionierung
Das „Sich-schön-machen“ kann mit harter Arbeit verbunden sein. Schminken, Frisieren, Anziehen, Rasieren, Piercen, Tätowieren, Diät halten und Sporttreiben oder sogar Operieren lassen sind Handlungen, die dem Menschen helfen sollen, sich sozial zu positionieren. Dieses Schönheitshandeln ist ein Medium der Kommunikation. Durch die Inszenierung der eigenen Außenwirkung soll Aufmerksamkeit erlangt werden. Diese Aufmerksamkeit muss nicht durch Schönheitshandeln erreicht werden, das sich am allegemeinen Schönheitsideal orientiert. Es geht primär um die gelingende oder misslingende Anerkennung innerhalb eines bestimmtem sozialen Umfeldes. Wenn sich beispielsweise Menschen Irokesen-Haarschnitte schneiden lassen, zerrissene Hosen tragen und sich Piercings stechen, können sie durch dieses Schönheitshandeln, in ganz bestimmten sozialen Gruppen, wie z.B. der Punkerszene, akzeptiert werden und somit Anerkennung erlangen (vgl. Degele 2004).
Schönheitshandeln erfordert Kompetenz
Um in der Gesellschaft überlebensfähig zu bleiben und ihren stetig wachsenden Anforderungen gerecht zu werden, ist Kompetenz erforderlich. Schönheitskompetenz kann als Fähigkeit bezeichnet werden, die eigene Wirkung auf andere im Hinblick auf Anerkennung erfolgreich darzustellen (vgl. Degele 2004). Wie schminke ich mich typgerecht, was ziehe ich zu welcher Gelegenheit an und wie pflege ich mich richtig, um möglichst lange jung und dynamisch auszusehen? Durch diese Schönheitskompetenz kann das Schönheitshandeln optimiert und die Erfolgsaussichten gesteigert werden.
Für wen machen wir uns schön?
Einige Menschen sind der Überzeugung, dass sie sich schön machen, um sich in ihrem Körper wohl zu fühlen. Dieses Wohlfühlen kann für verschiedene Dinge stehen, wie z.B. die Bequemlichkeit der Kleidung, Erschöpfung nach sportlicher Anstrengung und für die Anerkennung der Mitmenschen, die nach gelungener Inszenierung erwartet wird (vgl. Degele 2004). Viele Menschen sind der Meinung, dass sie sich nur für sich selbst und nicht für andere schön machen. Schönheitshandeln ist aber kein privates Handeln, da das Resultat dieser Handlung (die äußere Erscheinung) von anderen Menschen wahrgenommen wird und kommentiert wird. Unsere äußere Erscheinung, die wir durch das Schönheitshandeln beeinflussen, hat großen Einfluss auf den Eindruck, den wir nach außen transportieren und kommunizieren. Nur wenige Menschen sagen, dass sie sich schön machen, um anderen zu gefallen. Weshalb gestehen sich so viele Menschen nicht ein, dass sie sich auch für ihre Mitmenschen schön machen? Dies liegt vermutlich daran, dass die Menschen sich schminken, stylen und formen, aber trotzdem behaupten, dass es nur auf die inneren Werte ankommt. Wenn es nur auf die inneren Werte ankommt, dann müsste sich keiner für andere schön machen. Das Aussehen kann so durchaus zur moralischen Frage werden und das Schönheitshandeln zu einem identitätsgebenden Akt, der durch Wohlfühlen und Anerkennung vermittelt wird.
Schönheitshandeln kann auch als Mittel zur Differenzierung von Geschlechtern genutzt werden. Während bei den Frauen weibliche, figurbetonte Formen im Vordergrund stehen, dominiert bei den Männern das Kantige und Muskulöse, womit Härte und Männlichkeit signalisiert wird (vgl. Degele 2004).
Schönheit hat Macht und diese Macht kann Blicke lenken. Wer sich schön macht, kommt in der Regel besser durchs Leben und dies gilt nicht nur für Frauen. Lag der Männeranteil bei Schönheitsoperationen 1990 nur 4,9 Prozent, waren es 2008 schon 20 Prozent. Die meisten Männer machen sich schön, um jünger und dynamischer zu wirken, dadurch erhoffen sie sich in erster Linie mehr Erfolg im Berufsleben (vgl. Mang 2009). Menschen die dem Schönheitsideal entsprechen oder ihm nahekommen, beziehen z.B. mehr Gehalt als unattraktivere Personen. So steigt auch stetig die Bereitschaft sein Äußeres zu verschönern, sei es durch die täglichen Schmink- und Styling-Rituale oder durch die teilweise noch verpönten Schönheitsoperationen (vgl. Neuhann-Lorenz 2006).
Ob wir uns nun für den Beruf, für den Partner oder für uns selbst schön machen, es steht fest, dass das „Sich-schön-machen“ mit einer gewollten oder ungewollten Außenwirkung verbunden ist.
Literatur:
Mang W. Verlogene Schönheit. Vom falschen Glanz und eitlen Wahn. 1. Auflage, Bertelsmann Verlag, München, 2009.
Degele N. Sich schön machen. Zur Soziologie von Geschlecht und Schönheitshandeln. 1. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlag GmbH, Wiesbaden, 2004.
Neuhann-Lorenz, C. Schönsein. Chancen und Möglichkeiten der Schönheitschirurgie. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München, 2006.
Erfolgreiches Leben in der Gesellschaft
Körperliche Attraktivität gehört heutzutage zu einem immer wichtiger werdenden Mittel für ein erfolgreiches Leben in der Gesellschaft. Gutes Aussehen öffnet so manche Türen und kann entscheidene Vorteile bei der Partnersuche bringen. Schönheit kann als Kapital gesehen werden, das sowohl die private wie die berufliche Laufbahn mitbestimmt. Schönheit hat mit sozialem Erfolg zu tun, denn wer sich jung, gepflegt und schlank präsentiert, dem werden unbewusst positive Eigenschaften wie Gesundheit oder Willenskraft zugeschrieben (vgl. Mang 2009).
Schönheitshandeln zur sozialen Positionierung
Das „Sich-schön-machen“ kann mit harter Arbeit verbunden sein. Schminken, Frisieren, Anziehen, Rasieren, Piercen, Tätowieren, Diät halten und Sporttreiben oder sogar Operieren lassen sind Handlungen, die dem Menschen helfen sollen, sich sozial zu positionieren. Dieses Schönheitshandeln ist ein Medium der Kommunikation. Durch die Inszenierung der eigenen Außenwirkung soll Aufmerksamkeit erlangt werden. Diese Aufmerksamkeit muss nicht durch Schönheitshandeln erreicht werden, das sich am allegemeinen Schönheitsideal orientiert. Es geht primär um die gelingende oder misslingende Anerkennung innerhalb eines bestimmtem sozialen Umfeldes. Wenn sich beispielsweise Menschen Irokesen-Haarschnitte schneiden lassen, zerrissene Hosen tragen und sich Piercings stechen, können sie durch dieses Schönheitshandeln, in ganz bestimmten sozialen Gruppen, wie z.B. der Punkerszene, akzeptiert werden und somit Anerkennung erlangen (vgl. Degele 2004).
Schönheitshandeln erfordert Kompetenz
Um in der Gesellschaft überlebensfähig zu bleiben und ihren stetig wachsenden Anforderungen gerecht zu werden, ist Kompetenz erforderlich. Schönheitskompetenz kann als Fähigkeit bezeichnet werden, die eigene Wirkung auf andere im Hinblick auf Anerkennung erfolgreich darzustellen (vgl. Degele 2004). Wie schminke ich mich typgerecht, was ziehe ich zu welcher Gelegenheit an und wie pflege ich mich richtig, um möglichst lange jung und dynamisch auszusehen? Durch diese Schönheitskompetenz kann das Schönheitshandeln optimiert und die Erfolgsaussichten gesteigert werden.
Für wen machen wir uns schön?
Einige Menschen sind der Überzeugung, dass sie sich schön machen, um sich in ihrem Körper wohl zu fühlen. Dieses Wohlfühlen kann für verschiedene Dinge stehen, wie z.B. die Bequemlichkeit der Kleidung, Erschöpfung nach sportlicher Anstrengung und für die Anerkennung der Mitmenschen, die nach gelungener Inszenierung erwartet wird (vgl. Degele 2004). Viele Menschen sind der Meinung, dass sie sich nur für sich selbst und nicht für andere schön machen. Schönheitshandeln ist aber kein privates Handeln, da das Resultat dieser Handlung (die äußere Erscheinung) von anderen Menschen wahrgenommen wird und kommentiert wird. Unsere äußere Erscheinung, die wir durch das Schönheitshandeln beeinflussen, hat großen Einfluss auf den Eindruck, den wir nach außen transportieren und kommunizieren. Nur wenige Menschen sagen, dass sie sich schön machen, um anderen zu gefallen. Weshalb gestehen sich so viele Menschen nicht ein, dass sie sich auch für ihre Mitmenschen schön machen? Dies liegt vermutlich daran, dass die Menschen sich schminken, stylen und formen, aber trotzdem behaupten, dass es nur auf die inneren Werte ankommt. Wenn es nur auf die inneren Werte ankommt, dann müsste sich keiner für andere schön machen. Das Aussehen kann so durchaus zur moralischen Frage werden und das Schönheitshandeln zu einem identitätsgebenden Akt, der durch Wohlfühlen und Anerkennung vermittelt wird.
Schönheitshandeln kann auch als Mittel zur Differenzierung von Geschlechtern genutzt werden. Während bei den Frauen weibliche, figurbetonte Formen im Vordergrund stehen, dominiert bei den Männern das Kantige und Muskulöse, womit Härte und Männlichkeit signalisiert wird (vgl. Degele 2004).
Schönheit hat Macht und diese Macht kann Blicke lenken. Wer sich schön macht, kommt in der Regel besser durchs Leben und dies gilt nicht nur für Frauen. Lag der Männeranteil bei Schönheitsoperationen 1990 nur 4,9 Prozent, waren es 2008 schon 20 Prozent. Die meisten Männer machen sich schön, um jünger und dynamischer zu wirken, dadurch erhoffen sie sich in erster Linie mehr Erfolg im Berufsleben (vgl. Mang 2009). Menschen die dem Schönheitsideal entsprechen oder ihm nahekommen, beziehen z.B. mehr Gehalt als unattraktivere Personen. So steigt auch stetig die Bereitschaft sein Äußeres zu verschönern, sei es durch die täglichen Schmink- und Styling-Rituale oder durch die teilweise noch verpönten Schönheitsoperationen (vgl. Neuhann-Lorenz 2006).
Ob wir uns nun für den Beruf, für den Partner oder für uns selbst schön machen, es steht fest, dass das „Sich-schön-machen“ mit einer gewollten oder ungewollten Außenwirkung verbunden ist.
Literatur:
Mang W. Verlogene Schönheit. Vom falschen Glanz und eitlen Wahn. 1. Auflage, Bertelsmann Verlag, München, 2009.
Degele N. Sich schön machen. Zur Soziologie von Geschlecht und Schönheitshandeln. 1. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlag GmbH, Wiesbaden, 2004.
Neuhann-Lorenz, C. Schönsein. Chancen und Möglichkeiten der Schönheitschirurgie. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München, 2006.
Fiktive Körper - Selbstdarstellung im Internet
DB
Selbstdarsteller, oder auch Selbstperformer, spielen mit den Möglichkeiten einer fiktiven Identität. Sie suchen dabei nach einem fiktiven Körper und nicht nach einer fiktiven Person. Dieser Körper kann auf verschiedene Arten dargestellt werden, beispielsweise als Profil in einem Internetforum.
Die Selbstdarstellung spiegelt das Subjekt in der Welt durch einen performativen Akt wieder. Das bedeutet, dass der Selbstdarsteller durch seine Performance direkten Einfluss auf seine Umwelt nehmen und sie bewegen will (vgl. Bianchi 2006, S. 40).
Zu den Themen der Selbstdarstellung zählen das Ich als Person, das Ich und sein soziokulturelles Umfeld sowie das Ich in der Gesellschaft. Möchte eine Person ihr Ich präsentieren, setzt sie beispielsweise ihren Körper, ihr Leben, ihren Alltag, ihre Talente oder Interessen in Szene. Diese Attribute fungieren in dem Moment der Präsenz als Medien der Selbstdarstellung. Möchte sich die Person über ihr Ich in ihrem soziokulturelles Umfeld darstellen, ist ihr dies über ihre Herkunft, ihr soziales Wesen oder als Teil einer Community möglich. Ähnlich gestaltet sich die Präsenz des Ich einer Person in der Gesellschaft. Zum Ausdruck kann sie in diesem Fall durch die Meinung, die Einstellung oder den Konsum, den die Person pflegt, gebracht werden. Selbstdarstellungen sind dabei die Spiegelbilder der jeweiligen Gesellschaft und ihrer Zeit, der Politik bzw. der Kunst (vgl. Bianchi 2006, S. 40). Ein gutes Beispiel hierfür liefert der Künstler SIS.TM, der unter anderem mit seinem Projekt „Do you eat?“ im Internet Aufmerksamkeit erregte (siehe: http://vimeo.com/722349).
In der Selbstdarstellung wird der Versuch unternommen Privates mit Öffentlichem, Singuläres mit Allgemeinem und Individuelles mit Sozialem zu vereinen. Gleichzeitig spaltet sich das Selbst eines Individuums bei seiner Darstellung in ein Erlebendes und ein Beobachtendes (vgl. Bianchi 2006, S. 40).
Eine Ausnahme in Bezug auf diese Aufspaltung des Selbst findet sich in dem Forschungsprojekt der Künstlerin Irene Schubiger. Sie versucht Selbst- und Fremdwahrnehmung zu verknüpfen, indem sie die Trennung zwischen Darsteller und Zuschauer aufhebt. Dies gelingt ihr in der Medien- und Videokunst über das Beobachten der eigenen Person mit Hilfe eines Monitors (vgl. Schubiger 2006, S. 112f.). Dadurch gelingt ihr „[…] die Selbstvergewisserung der eigenen Existenz durch Bildschirm und Monitor statt durch soziale Fremdbeobachtung […]“ (Bianchi 2006, S. 43).
Bei der Selbstperformance geht es laut Bianchi im Allgemeinen darum eigene Lebenserkundungen zu verstehen und darzustellen. So gelingt es dem Individuum sich selbst zu benennen, statt von anderen benannt zu werden. Für die Beweisbarkeit seiner Existenz braucht das Individuum immer Momente, Orte oder Medien, die sich für die Darstellung des Selbst eignen. Jedoch spiegelt sich in dieser These ein Paradox wider, da die Existenz eines Individuums vorrangig von Distanzierung, Reflexivität und Abgrenzung abhängig ist, um sich zu unterscheiden (vgl. Bianchi 2006, S. 40).
Es gibt verschiedene Vorstellungen davon, wie ein Selbstdarsteller in Erscheinung treten kann. Nach Bianchis Theorie erfolgt die Performance des Selbst über die Rollen des Spötters, des Spassvogels, des Weisen oder des Propheten (vgl. Bianchi 2006, S.40). Demnach dürfte jedes Individuum, das sich außerhalb dieser Rollen bewegt kein Selbstdarsteller sein.
Gerhard Johann Lischkas These hingegen besagt, dass jeder durch seine Erscheinung ein Mediator -also ein Selbstperformer- ist (vgl. Bianchi 2006, S.41). Lischkas These könnte im Gegensatz zu der von Bianchi durch das metakommunikative Axiom von Paul Watzlawick untermauert werden. Dieses besagt, dass Kommunikation immer dann stattfindet, sobald mindestens zwei Personen in irgendeiner Form aufeinander treffen. Watzlawick setzt in dieser These die Kommunikation mit dem Verhalten gleich. Da es kein Gegenstück zum Verhalten im Sinne eines Nichtverhaltens gibt, impliziert dies in Bezug auf Watzlawicks Vorstellung eine Unmöglichkeit des Nichtkommunizierens (Watzlawick et al. 2000, o.S.). Eine ähnliche These vertritt auch Erving Goffman. Er sagt:
„Ein Mensch kann aufhören zu sprechen, er kann aber nicht aufhören, mit seinem Körper zu kommunizieren; er muss damit entweder das Richtige oder das Falsche sagen; aber er kann nicht gar nichts sagen“ (Goffman 1971, S. 43).
Übertragen auf die Selbstdarstellung bedeutet dies, dass durch die permanente Kommunikation von Individuen, jeder zu einem Selbstdarsteller wird.
Weiterhin beschreibt Bianchi, dass sich Selbstdarsteller um jeden Preis von allen anderen Personen abheben wollen. Dadurch gibt es in der Selbstdarstellung kein Ideal. Der Selbstdarsteller kann demnach mager, fett, hässlich oder schön sein. Sofern die Summe aller Dinge, die ihn als Person ausmachen, stimmt, ist dem Individuum die Selbstdarstellung gelungen (vgl. Bianchi 2006, S. 41). Lischka spricht an dieser Stelle vom „Selfstyle“ (vgl. Lischka 2006, S. 58).
Ebenfalls kann die Selbstdarstellung als gelungen bewertet werden, wenn der Selbstdarsteller vom Publikum bemerkt wird. Aufmerksamkeit ist deshalb so wichtig für die Selbstdarstellung, weil alles, was keine Aufmerksamkeit erfährt, nicht wahrgenommen und deshalb in Bezug auf die Selbstdarstellung als nicht existent gewertet wird (vgl. Bianchi 2006, S.45).
Da durch das Medium Internet ein weltweites Publikum angesprochen werden kann, erhöht sich die Chance hier bemerkt zu werden enorm. So hat das Internet stark an Popularität bei Selbstdarstellern gewonnen. Es eignet sich außerdem besonders gut zur Selbstperformance, da es die Bedürfnisse nach Nähe und Privatsphäre vereint (vgl. Bianchi 2006, S.42).
Deutlich wird dies innerhalb der sogenannten Chat-Räume, in denen die Teilnehmer unter selbstgegebenen Namen miteinander kommunizieren können. Was jeder Einzelne über seine Person in seinem Profil offenbart, bleibt ihm freigestellt. Damit ist die Welt als inszenierte Realität vergleichbar mit einem Schauspiel. Die sich in ihr bewegenen Individuen stellen ihre Figuren dar. (vgl. Gugutzer 2004 , S.94f.)
Einst sagte Andy Warhol jeder Mensch könne für 15 Minuten ein Star sein. Heute ist dieser Ausspruch Warhols vorrangig durch das Internet möglich geworden. Zahlreiche Weblogs inspirieren zur Selbstdarstellung. Auf YouTube kann sich jeder selbst zum Star seiner eigenen Videobeiträge erheben und virtuelle Welten, wie das Rollenspiel World of Warcraft, erlauben sogar den Experimentalraum für die „Erprobung unausgelebter Seiten des Selbst“ (Bianchi 2006, S.42). Besonders bei Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl kann diese Auslebung des Selbst wie eine Art Droge wirken. Sie geraten in eine Kette in der „ […] Selbstzweifel verfliegen, das Selbstbewusstsein steigt und die Selbstdarstellung floriert“ (Bianchi 2006, S.43).
Literatur
Bianchi, Paolo (2006): Erkenne dich selbst!. In: Kunstforum International, Band 181
Goffman, Erving (1971): Verhalten in sozialen Situationen. Strukturen und Regeln der Interaktion im öffentlichen Raum. Bertelsmann: Gütersloh
Gugutzer, Robert (2004): Soziologie des Körpers. transcript Verlag: Bielefeld
Kunstforum International, Band 181 (2006): Die Kunst der Selbstdarstellung. Herausgegeben von Bianchi, Paolo. Verlag Kunstforum: Ruppichteroth
Lischka, Gerhard Johann (2006): Selbst : Darstellung : Selfstyle. In: Kunstforum International, Band 181
Schubiger, Irene (2006): Zwischen Performance und Self-Eding. In: Kunstforum International, Band 181
Watzlawick, Paul et al (2000): Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Huber: Bern
Selbstdarsteller, oder auch Selbstperformer, spielen mit den Möglichkeiten einer fiktiven Identität. Sie suchen dabei nach einem fiktiven Körper und nicht nach einer fiktiven Person. Dieser Körper kann auf verschiedene Arten dargestellt werden, beispielsweise als Profil in einem Internetforum.
Die Selbstdarstellung spiegelt das Subjekt in der Welt durch einen performativen Akt wieder. Das bedeutet, dass der Selbstdarsteller durch seine Performance direkten Einfluss auf seine Umwelt nehmen und sie bewegen will (vgl. Bianchi 2006, S. 40).
Zu den Themen der Selbstdarstellung zählen das Ich als Person, das Ich und sein soziokulturelles Umfeld sowie das Ich in der Gesellschaft. Möchte eine Person ihr Ich präsentieren, setzt sie beispielsweise ihren Körper, ihr Leben, ihren Alltag, ihre Talente oder Interessen in Szene. Diese Attribute fungieren in dem Moment der Präsenz als Medien der Selbstdarstellung. Möchte sich die Person über ihr Ich in ihrem soziokulturelles Umfeld darstellen, ist ihr dies über ihre Herkunft, ihr soziales Wesen oder als Teil einer Community möglich. Ähnlich gestaltet sich die Präsenz des Ich einer Person in der Gesellschaft. Zum Ausdruck kann sie in diesem Fall durch die Meinung, die Einstellung oder den Konsum, den die Person pflegt, gebracht werden. Selbstdarstellungen sind dabei die Spiegelbilder der jeweiligen Gesellschaft und ihrer Zeit, der Politik bzw. der Kunst (vgl. Bianchi 2006, S. 40). Ein gutes Beispiel hierfür liefert der Künstler SIS.TM, der unter anderem mit seinem Projekt „Do you eat?“ im Internet Aufmerksamkeit erregte (siehe: http://vimeo.com/722349).
In der Selbstdarstellung wird der Versuch unternommen Privates mit Öffentlichem, Singuläres mit Allgemeinem und Individuelles mit Sozialem zu vereinen. Gleichzeitig spaltet sich das Selbst eines Individuums bei seiner Darstellung in ein Erlebendes und ein Beobachtendes (vgl. Bianchi 2006, S. 40).
Eine Ausnahme in Bezug auf diese Aufspaltung des Selbst findet sich in dem Forschungsprojekt der Künstlerin Irene Schubiger. Sie versucht Selbst- und Fremdwahrnehmung zu verknüpfen, indem sie die Trennung zwischen Darsteller und Zuschauer aufhebt. Dies gelingt ihr in der Medien- und Videokunst über das Beobachten der eigenen Person mit Hilfe eines Monitors (vgl. Schubiger 2006, S. 112f.). Dadurch gelingt ihr „[…] die Selbstvergewisserung der eigenen Existenz durch Bildschirm und Monitor statt durch soziale Fremdbeobachtung […]“ (Bianchi 2006, S. 43).
Bei der Selbstperformance geht es laut Bianchi im Allgemeinen darum eigene Lebenserkundungen zu verstehen und darzustellen. So gelingt es dem Individuum sich selbst zu benennen, statt von anderen benannt zu werden. Für die Beweisbarkeit seiner Existenz braucht das Individuum immer Momente, Orte oder Medien, die sich für die Darstellung des Selbst eignen. Jedoch spiegelt sich in dieser These ein Paradox wider, da die Existenz eines Individuums vorrangig von Distanzierung, Reflexivität und Abgrenzung abhängig ist, um sich zu unterscheiden (vgl. Bianchi 2006, S. 40).
Es gibt verschiedene Vorstellungen davon, wie ein Selbstdarsteller in Erscheinung treten kann. Nach Bianchis Theorie erfolgt die Performance des Selbst über die Rollen des Spötters, des Spassvogels, des Weisen oder des Propheten (vgl. Bianchi 2006, S.40). Demnach dürfte jedes Individuum, das sich außerhalb dieser Rollen bewegt kein Selbstdarsteller sein.
Gerhard Johann Lischkas These hingegen besagt, dass jeder durch seine Erscheinung ein Mediator -also ein Selbstperformer- ist (vgl. Bianchi 2006, S.41). Lischkas These könnte im Gegensatz zu der von Bianchi durch das metakommunikative Axiom von Paul Watzlawick untermauert werden. Dieses besagt, dass Kommunikation immer dann stattfindet, sobald mindestens zwei Personen in irgendeiner Form aufeinander treffen. Watzlawick setzt in dieser These die Kommunikation mit dem Verhalten gleich. Da es kein Gegenstück zum Verhalten im Sinne eines Nichtverhaltens gibt, impliziert dies in Bezug auf Watzlawicks Vorstellung eine Unmöglichkeit des Nichtkommunizierens (Watzlawick et al. 2000, o.S.). Eine ähnliche These vertritt auch Erving Goffman. Er sagt:
„Ein Mensch kann aufhören zu sprechen, er kann aber nicht aufhören, mit seinem Körper zu kommunizieren; er muss damit entweder das Richtige oder das Falsche sagen; aber er kann nicht gar nichts sagen“ (Goffman 1971, S. 43).
Übertragen auf die Selbstdarstellung bedeutet dies, dass durch die permanente Kommunikation von Individuen, jeder zu einem Selbstdarsteller wird.
Weiterhin beschreibt Bianchi, dass sich Selbstdarsteller um jeden Preis von allen anderen Personen abheben wollen. Dadurch gibt es in der Selbstdarstellung kein Ideal. Der Selbstdarsteller kann demnach mager, fett, hässlich oder schön sein. Sofern die Summe aller Dinge, die ihn als Person ausmachen, stimmt, ist dem Individuum die Selbstdarstellung gelungen (vgl. Bianchi 2006, S. 41). Lischka spricht an dieser Stelle vom „Selfstyle“ (vgl. Lischka 2006, S. 58).
Ebenfalls kann die Selbstdarstellung als gelungen bewertet werden, wenn der Selbstdarsteller vom Publikum bemerkt wird. Aufmerksamkeit ist deshalb so wichtig für die Selbstdarstellung, weil alles, was keine Aufmerksamkeit erfährt, nicht wahrgenommen und deshalb in Bezug auf die Selbstdarstellung als nicht existent gewertet wird (vgl. Bianchi 2006, S.45).
Da durch das Medium Internet ein weltweites Publikum angesprochen werden kann, erhöht sich die Chance hier bemerkt zu werden enorm. So hat das Internet stark an Popularität bei Selbstdarstellern gewonnen. Es eignet sich außerdem besonders gut zur Selbstperformance, da es die Bedürfnisse nach Nähe und Privatsphäre vereint (vgl. Bianchi 2006, S.42).
Deutlich wird dies innerhalb der sogenannten Chat-Räume, in denen die Teilnehmer unter selbstgegebenen Namen miteinander kommunizieren können. Was jeder Einzelne über seine Person in seinem Profil offenbart, bleibt ihm freigestellt. Damit ist die Welt als inszenierte Realität vergleichbar mit einem Schauspiel. Die sich in ihr bewegenen Individuen stellen ihre Figuren dar. (vgl. Gugutzer 2004 , S.94f.)
Einst sagte Andy Warhol jeder Mensch könne für 15 Minuten ein Star sein. Heute ist dieser Ausspruch Warhols vorrangig durch das Internet möglich geworden. Zahlreiche Weblogs inspirieren zur Selbstdarstellung. Auf YouTube kann sich jeder selbst zum Star seiner eigenen Videobeiträge erheben und virtuelle Welten, wie das Rollenspiel World of Warcraft, erlauben sogar den Experimentalraum für die „Erprobung unausgelebter Seiten des Selbst“ (Bianchi 2006, S.42). Besonders bei Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl kann diese Auslebung des Selbst wie eine Art Droge wirken. Sie geraten in eine Kette in der „ […] Selbstzweifel verfliegen, das Selbstbewusstsein steigt und die Selbstdarstellung floriert“ (Bianchi 2006, S.43).
Literatur
Bianchi, Paolo (2006): Erkenne dich selbst!. In: Kunstforum International, Band 181
Goffman, Erving (1971): Verhalten in sozialen Situationen. Strukturen und Regeln der Interaktion im öffentlichen Raum. Bertelsmann: Gütersloh
Gugutzer, Robert (2004): Soziologie des Körpers. transcript Verlag: Bielefeld
Kunstforum International, Band 181 (2006): Die Kunst der Selbstdarstellung. Herausgegeben von Bianchi, Paolo. Verlag Kunstforum: Ruppichteroth
Lischka, Gerhard Johann (2006): Selbst : Darstellung : Selfstyle. In: Kunstforum International, Band 181
Schubiger, Irene (2006): Zwischen Performance und Self-Eding. In: Kunstforum International, Band 181
Watzlawick, Paul et al (2000): Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Huber: Bern
Selbstdarstellung im Internet am Beispiel von YouTube
AM
Das Internet ist ein weltweit nutzbares Medium mit jederzeitiger Verfügbarkeit. So ist es in den letzten Jahren immer wieder Gegenstand kritischer Diskussionen im Hinblick auf Rechts-, Angebots- und Sicherheitsfragen gewesen.
Außerdem ergeben sich Fragen, die sich mit den gesellschaftlichen Auswirkungen des Mediums Internet beschäftigen, wie zum Beispiel die Veränderungen des sozialen Verhaltens vor allem bei jugendlichen Nutzern, die in einer Phase ihres Lebens stehen, in der Selbstfindung und Selbstdarstellung eine große Rolle spielen (vgl. Kiepas 2006, S. 13).
Eine Möglichkeit der Selbstdarstellung bietet die Internetplattform YouTube, Dort werden Fernsehausschnitte, Musikvideos und selbstgedrehte Filme eingestellt, die weltweit aufrufbar sind.
YouTube (Tube: Röhre; umgangssprachlich für Fernsehen; Deutsche Übersetzung: „Du sendest“) wurde mit dem Slogan „broadcast yourself“ (Strahle dich selbst aus) am 15.02.2005 von drei ehemaligen Pay-Pal-Mitarbeitern in San Bruno (Californien) gegründet. Täglich werden 65000 neue Videos zur Ansicht freigegeben und zwei Milliarden kostenlos hochgeladene Clips können täglich bei YouTube angesehen werden.
Doch was motiviert Nutzer des Portals intime Momente, Alltagssituationen, soziales Umfeld, Meinungen und Körper zu konsumieren oder darzustellen?
Zunächst bietet seinen Nutzern YouTube eine Vergleichsmöglichkeit. Die konsumierten selbstgedrehten Videos zeigen, wer man ist, wer man nicht ist oder wer man sein möchte. Es ist eine Art Spiegel, in dem man sich als Persönlichkeit wiederfindet oder komplett verliert.
Die Videodarstellungen zeigen, ob wir der „YouTube-Norm“ entsprechen oder nicht. Denn Individuen richten ihre Handlungen nicht nach den innerlichen Werten und Normen, sondern orientieren sich an den Maßstäben in der Welt des Internets, die Auskunft über ein „normales Verhalten“ gibt, ohne Zwang und Vorschrift (vgl. Schroer 2005, S. 215)
YouTube biete die Möglichkeit in neue Rollen zu schlüpfen, sich als komplett anderer Mensch zu repräsentieren, um sich durch parasoziale Interaktionen Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die selbstgedrehten Videos können mit Kommentaren versehen werden, sodass jeder Zuschauer sein Urteil über das Gesehene abgeben kann. Der Akteur der Videos kann sich somit von einem unsichtbaren Publikum anonym eine Wertung über seine Aktion einholen, um seine Wirkung und Beliebtheit zu testen.
Doch YouTube bietet nicht nur eine Plattform für „Identitätsflüchtlinge“, sondern stellt auch das „wahre Leben“ zur Schau, in dem Menschen mit Süchten, Krankheit, Tod und Leid kämpfen und die Nutzer an Hochzeits,- Geburts- und Familienfestmomenten teilnehmen lassen.
Oberflächlich betrachtet bietet YouTube Information, Unterhaltung und Zeitvertreib auf Basis des Voyeurismus.
Vorteile der Nutzung sind der erleichterte Zugang zur Kultur, Erhöhung der Möglichkeit der kulturellen Aktivität, somit eine schnellere Entwicklung und Verbreitung der Kultur, Knüpfung von Kontakten, Sammeln von interkulturellen Erfahrungen und eine hohe künstlerische Freiheit (Kiepas, 2006, S. 46).
Durch die Kommentarfunktion kann ein direktes Feedback erstellt werden, was zum Beispiel bei Clips mit politischen Inhalten einen Austausch und somit auch Neuerkenntnisse mit sich bringen kann.
Bei YouTube sind es die Nutzer, die Unterhaltung erschaffen und sich in der Position von Großkonzernen befinden, um „normale“ Menschen als Berühmtheiten zu positionieren.
Dennoch machen sich viele dieser gekürten Berühmtheiten keine Gedanken, ob das von ihnen Dargestellte zu privat ist und oft werden Schamgrenzen überschritten, was sich auf das Privat- und Berufsleben auswirken kann.
Die scheinbare Unabhängigkeit von Zeit und Raum und somit die Flucht in eine andere Welt entfremdet Menschen von der realen Welt. So können soziale Kontakte leiden und ein Rückzug aus dem sozialen Umfeld vollzieht sich, was in manchen Fällen zur Vereinsamung führen kann (Kiepas 2006, S. 46).
Quellen:
Kiepas, A./Zydek- Bednarczuk, U. (2006): Informationsgesellschaft und Kultur. Internet- Globale Kommunikation- Identität. Trafo, Berlin
Schroer, M. (2005): Soziologie des Körpers. Suhrkamp, Frankfurt
Das Internet ist ein weltweit nutzbares Medium mit jederzeitiger Verfügbarkeit. So ist es in den letzten Jahren immer wieder Gegenstand kritischer Diskussionen im Hinblick auf Rechts-, Angebots- und Sicherheitsfragen gewesen.
Außerdem ergeben sich Fragen, die sich mit den gesellschaftlichen Auswirkungen des Mediums Internet beschäftigen, wie zum Beispiel die Veränderungen des sozialen Verhaltens vor allem bei jugendlichen Nutzern, die in einer Phase ihres Lebens stehen, in der Selbstfindung und Selbstdarstellung eine große Rolle spielen (vgl. Kiepas 2006, S. 13).
Eine Möglichkeit der Selbstdarstellung bietet die Internetplattform YouTube, Dort werden Fernsehausschnitte, Musikvideos und selbstgedrehte Filme eingestellt, die weltweit aufrufbar sind.
YouTube (Tube: Röhre; umgangssprachlich für Fernsehen; Deutsche Übersetzung: „Du sendest“) wurde mit dem Slogan „broadcast yourself“ (Strahle dich selbst aus) am 15.02.2005 von drei ehemaligen Pay-Pal-Mitarbeitern in San Bruno (Californien) gegründet. Täglich werden 65000 neue Videos zur Ansicht freigegeben und zwei Milliarden kostenlos hochgeladene Clips können täglich bei YouTube angesehen werden.
Doch was motiviert Nutzer des Portals intime Momente, Alltagssituationen, soziales Umfeld, Meinungen und Körper zu konsumieren oder darzustellen?
Zunächst bietet seinen Nutzern YouTube eine Vergleichsmöglichkeit. Die konsumierten selbstgedrehten Videos zeigen, wer man ist, wer man nicht ist oder wer man sein möchte. Es ist eine Art Spiegel, in dem man sich als Persönlichkeit wiederfindet oder komplett verliert.
Die Videodarstellungen zeigen, ob wir der „YouTube-Norm“ entsprechen oder nicht. Denn Individuen richten ihre Handlungen nicht nach den innerlichen Werten und Normen, sondern orientieren sich an den Maßstäben in der Welt des Internets, die Auskunft über ein „normales Verhalten“ gibt, ohne Zwang und Vorschrift (vgl. Schroer 2005, S. 215)
YouTube biete die Möglichkeit in neue Rollen zu schlüpfen, sich als komplett anderer Mensch zu repräsentieren, um sich durch parasoziale Interaktionen Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die selbstgedrehten Videos können mit Kommentaren versehen werden, sodass jeder Zuschauer sein Urteil über das Gesehene abgeben kann. Der Akteur der Videos kann sich somit von einem unsichtbaren Publikum anonym eine Wertung über seine Aktion einholen, um seine Wirkung und Beliebtheit zu testen.
Doch YouTube bietet nicht nur eine Plattform für „Identitätsflüchtlinge“, sondern stellt auch das „wahre Leben“ zur Schau, in dem Menschen mit Süchten, Krankheit, Tod und Leid kämpfen und die Nutzer an Hochzeits,- Geburts- und Familienfestmomenten teilnehmen lassen.
Oberflächlich betrachtet bietet YouTube Information, Unterhaltung und Zeitvertreib auf Basis des Voyeurismus.
Vorteile der Nutzung sind der erleichterte Zugang zur Kultur, Erhöhung der Möglichkeit der kulturellen Aktivität, somit eine schnellere Entwicklung und Verbreitung der Kultur, Knüpfung von Kontakten, Sammeln von interkulturellen Erfahrungen und eine hohe künstlerische Freiheit (Kiepas, 2006, S. 46).
Durch die Kommentarfunktion kann ein direktes Feedback erstellt werden, was zum Beispiel bei Clips mit politischen Inhalten einen Austausch und somit auch Neuerkenntnisse mit sich bringen kann.
Bei YouTube sind es die Nutzer, die Unterhaltung erschaffen und sich in der Position von Großkonzernen befinden, um „normale“ Menschen als Berühmtheiten zu positionieren.
Dennoch machen sich viele dieser gekürten Berühmtheiten keine Gedanken, ob das von ihnen Dargestellte zu privat ist und oft werden Schamgrenzen überschritten, was sich auf das Privat- und Berufsleben auswirken kann.
Die scheinbare Unabhängigkeit von Zeit und Raum und somit die Flucht in eine andere Welt entfremdet Menschen von der realen Welt. So können soziale Kontakte leiden und ein Rückzug aus dem sozialen Umfeld vollzieht sich, was in manchen Fällen zur Vereinsamung führen kann (Kiepas 2006, S. 46).
Quellen:
Kiepas, A./Zydek- Bednarczuk, U. (2006): Informationsgesellschaft und Kultur. Internet- Globale Kommunikation- Identität. Trafo, Berlin
Schroer, M. (2005): Soziologie des Körpers. Suhrkamp, Frankfurt
Der Körper in der Kunst
KR, TS, CF
Seit es die känstlerische Darstellung gibt, ist der Körper ein wiederkehrendes Thema. Künstler malen, fotografieren, filmen und modellieren Körper. Sie betreiben Forschung am und mit dem Körper. Der folgende Text bezieht sich auf den künstlerisch forschenden Ansatz. An Beispielen aus der Antike und an drei zeitgenössischen Künstlerinnen soll dies untersucht werden.
Der erste Teil dieses Textes beschäftigt sich mit der Gestaltung von Skulpturen. Die dargestellten Körper symbolisieren in dieser Epoche das Ideal des Menschen. Im zweiten Teil richten wir den Blick auf die zeitgenössische Kunst.
An den Künstlerinnen Rebecca Horn, Valie Export und Cindy Sherman wird die veränderte Körperwahrnehmung und – darstellung verdeutlicht.
Zunächst gilt zu klären, was die Begriffe Körper und Kunst für eine Bedeutung haben. Der Körper ist im biologischen Sinne der Leib, das optisch in Erscheinung tretende Material (vgl. Online-Wörterbuch Difenero, Stichwort: Körper). Dem Begriff Kunst lassen sich mehrere Bedeutungen zuordnen und folgende Definition wurde für diese Ausarbeitung als brauchar erachtet. Kunst ist ein kulturelles Tätigkeitsfeld, die Gesamtheit ästhetischer Werke sowie die Fähigkeit, bestimmte geistige oder gegenständliche Werke herzustellen (vgl. Online-Lexikon Wikipdia, Stichwort: Kunst).
Körper in der Antike
Die humanistische Tradition sieht den antiken Körper als ideales Kunstwerk. Sie konzentriert sich auf die geistigen Errungenschaften. Die körperlichen Bedürfnisse und Phänomene werden kaum thematisiert, nur soweit sie den naturwissenschaftlich-medizinischen oder gymnastischen Bereich betreffen. Jedoch widerspricht dieses der antiken Lebenspraxis und dem Weltbild der Griechen in der Antike. Zum Beispiel war die Darstellung der Nacktheit, insbesondere männlicher Körper stark verbreitet. Jedoch hatte sie wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Sie verkörperte nur ein Ideal. Die Beschäftigung mit dem antiken Körper kann als Grundlage für die Auseinandersetzung mit dem heutigen Körperverständnis dienlich sein (vgl. Thommen 2007, S. 9-14).
Die ersten großplastischen Werke entstanden in Griechenland in der archaischen Zeit des späten 7. Jh. v. Chr. Diese Werke sind von einem typisierten Menschenbild geprägt und bringen zentrale gesellschaftliche Werte zum Ausdruck. Der Mensch wird nach damaligem Glauben durch sein Abbild unvergänglich. In jener Zeit - ebenso wie in der späteren griechischen Klassik - werden die jungen Männer (Kouroi) meist nackt dargestellt, die jungen Frauen (Korai) sind dagegen mit schönen, bunt gemusterten Gewändern gekleidet und reich mit Schmuck ausgestattet. Die weiblichen Figuren haben meist eine geschlossene Körperhaltung. Die Beine sind geschlossen und die Arme eng am Körper. Unter dem Kleid tragen die Frauen den Chiton (Untergewand), was ihnen eine säulenhafte Erscheinung verleiht. Teilweise zeichnen sich leicht die Körperwölbungen ab. Die weiblichen Statuen sollen jedoch körperliche Zurückhaltung ausstrahlen, was mit der Position der damaligen Frau in Verbindung steht (vgl. Thommen, 2007, S. 29-30).
Die Nacktheit der männlichen Statuen hingegen verkörpern das Ideal der Tüchtigkeit und spiegelt damit einen charakteristischen Wesenszug des Bürgers in der Antike wider. Die Körper werden kräftig, athletisch und durchtrainiert dargestellt. Die Beine nehmen eine aktive, ausgreifende Stellung ein und sind mit starken Schenkeln ausgestattet. Der Oberkörper ist durch einen durchtrainierten Leib, einer breit gewölbten Brust und muskulöse, aktionsbereite Arme ausgezeichnet. Durch diese Darstellung steht der männliche Körper für eine gymnastische Bildung, einen erfolgreichen Krieger und Jäger. Sowohl männliche als auch weibliche Figuren haben meist langes, gelocktes Haar und ein Lächeln im Gesicht. Hierdurch werden zentrale Werte der griechischen Gesellschaft zum Ausdruck gebracht. Das Lächeln vermittelt dem Betrachter ein kommunikatives, vitales und positives Grundbefinden (vgl. Thommen, 2007, S. 29-30).
Die Statuen werden in dieser Zeit nicht nur als eine bloße Darstellung empfunden, sondern als die Wirklichkeit. Sie spiegeln die damaligen Schönheitsideale wider. Durch die Form und den Schmuck werden die Statuen förmlich zum Leben erweckt (vgl. Hölscher 1998, S. 23)
Die Proportionierung des Körpers erfolgte in der archaischen Zeit nach strengen Rastern. Die Maßeinheiten sind von den Körpermaßen abgeleitet: Fingerbreite (Daktylos), Handbreite (4 Daktylen), Fußlänge (16 Daktylen), Elle (24 Daktylen), Klafter (96 Daktylen) (vgl. Thommen 2007, S. 33-34).
Abb. 1: Der Kouros von Tenea im Rastersystem
Ein Beispiel ist der Kouros von Tenea (um 550 v. Chr.; Glyptothek München). Diese Statue kann in 30 Einheiten geteilt werden, der Kopf wird in vier Einheiten (4 x 2,5 pheidonische Daktylen) geteilt, wie in Abbildung 1 zu sehen ist. Die Strecken vom Kinn bis zur Brust, von der Brust bis zum Bauchnabel, vom Bauchnabel bis zum Glied, vom Glied bis zum Knieansatz, vom Knieansatz bis zum Schien- und Wadenbein, vom Schien- und Wadenbein bis zum Knöchel haben dasselbe Maß (vgl. Thommen, 2007, S. 33-34).
In der Antike wurde der Körper mit dem ihm verbundenen Menschenbild verglichen. Die Statuen glichen Göttern und verkörperten ein Ideal. Die Künstlerinnen Rebecca Horn, Valie Export und Cindy Sherman hingegen beschäftigen sich mit der Wahrnehmung des Körpers und dessen Verhältnis zu seiner materiellen und sozialen Umwelt.
Körper in der zeitgenössischen Kunst
In den 1960er Jahren untersuchten verschiedene Künstler auf unterschiedliche Art und Weise das Verhältnis des Körpers zu dem ihm umgebenden Raum. Diese Arbeit entwickelte sich bei manchen Künstlern zum Selbstexperiment, das in der Regel in Aktionen, Fotos, Fotosequenzen und Videos durchgeführt wurde (vgl. Schneede, Marina, 2002, S. 17).
Die Künstlerinnen Rebecca Horn und Valie Export hatten dabei ihre ganz eigenen und sehr unterschiedlichen Umsetzungen gefunden. Auch Cindy Sherman inszeniert ihren eigenen Körper und zeigt durch die Selbstinszenierung die Möglichkeiten der Darstellungen von unterschiedlichen Betrachtungsweisen, auch in Hinblick auf gesellschaftskritische Aspekte.
Rebecca Horn
Rebecca Horn entwirft Anfang der 1970er Jahre Geräte, die den Körper erweitern sollten, wie beispielsweise den Handschuhfinger. Sie selbst bezeichnete diese Instrumente als „Erweiterung der manuellen Sensibilität“.
„Die Handschuhfinger sind aus so leichtem Material, dass ich meine Finger ohne Anstrengung bewegen kann. Ich fühle, taste, greife mit ihnen und bewahre eine feststehende Distanz zu den Gegenständen die ich berühre. Ich fühle wie ich berühre, sehe, wie ich greife, und kontrolliere die Entfernung zwischen den Objekten und mir“ (Horn 1977).
Rebecca Horn, Berlin 1974
Horns Selbstversuch startete 1974 unter dem Titel „Berlin-Übungen in neuen Stücken“ und wurde mit einer 16mm Kamera gefilmt. In ihrem Experiment kann der Zuschauer verfolgen, wie die Künstlerin mit ihren verlängerten Handschuhfingern den Raum bestreitet. Der Körper bewegt sich erst dann weiter, wenn die Umgebung erfühlt wurde. In einer anderen Sequenz des Filmes steht Rebecca Horn mit den verlängernden Handschuhfingern in der Mitte eines Raumes, so dass die Finger rechts und links dessen Wände berühren. Es wird das Bild eines eingesperrten Tieres erzeugt, welches dadurch unterstrichen wird, dass sie beim vorwärtsgehen ein kratzendes Geräusch an den Wänden hervorruft. Die Frage nach der Einengung der menschlichen Existenz wird durch diese Performanz verdeutlicht (vgl. Schneede, 2002, S. 16-17).
Valie Export
„Die Kunst kann ein Medium der Selbstbestimmung sein und diese bringt der Kunst neue Werte“ (Export, 1972).
Nach diesem Vorsatz Valie Export gestaltet ihre Kunst. Im Mittelpunkt steht ihr Körper als Objekt, als Skulptur und als Leinwand. Mittels verschiedener Technologien wie Performance, Fotografie, Video, Film, Computer und Laser führt sie Untersuchungen am eigenen Leib durch, mit denen sie ihre Umwelt provoziert und schockiert. Während einer Performance besucht sie 1986 ein Pornokino und trägt ihre Aktionshose, die durch ein Loch im Schritt Aufsehen erregt sowie ein Gewehr. Sie will das vor allem männliche Publikum aufstacheln und durch den Einsatz ihres Körpers ihre gesellschaftlichen Anliegen darstellen. Die Feministin Valie Export richtet sich mit ihrer Kunst kritisch gegen das vorherrschende Patriarchat (vgl. Menz 2004, S. 1-2). Ihr Körper dient dabei als Code, als soziales Zeichen der Gesellschaft. So lässt sie sich ein Strumpfband auf den Oberschenkel tätowieren. Für sie ist diese Tätowierung eine kulturelle Inschrift, mit der sie auf die sexuelle Versklavung sowie der unentwegten Verfügbarkeit der Frau hinweisen will. Sie sieht diese Versklavung als vergänglich an, denn mit dem Verschwinden ihres Körpers, wird auch dieses Zeichen verschwinden. Damit verdeutlicht sie ein weiteres Merkmal ihrer Kunst. Sie legt es nicht darauf an, museumstaugliche Kunstwerke zu erschaffen, sondern sie setzt auf Konfrontation mit den Zusammenhängen, in denen ihre Kunst entsteht (vgl. Weingarten 1997, S. 192).
Auf dem ersten Blick wirken ihre Arrangements chaotisch, doch die Denkerin Valie Export kalkuliert sie bis ins Detail. Sie betreibt künstlerische Forschung und verdeutlicht dadurch die Zusammenhänge von Gesellschaft und Individuum, insbesonders zeigt sie, wie der/die Einzelne gesellschaftlich zugerichtet wird. Der menschliche Körper wird dabei zum Forschungsobjekt und Kunstthema. Er dient der wissenschaftlichen Recherche in Feldern wie Politik, Wirtschaft und Ökologie. Valie Export entwickelt eine Kunst, die als Instrument der Selbstbeobachtung der Gesellschaft und als Instrument der Kritik und der Analyse der sozialen Institutionen gilt (vgl. Weingarten 1997, S. 193). Sie setzt ihren Körper ein, um Grenzen zu überschreiten (vgl. Fischer 2009, S.1). Ihr Körper dient ihr aber auch als Waffe für die Suche nach weiblichem Ausdruck sexueller Selbstbestimmung. Sie gilt deswegen als Wegbestreiterin in Bezug auf die Genderfrage und trägt einen erheblichen Teil zu der Akzeptanz der Frau als Performancekünstlerin bei (vgl. Reber 2010, S. 1).
Valie Export betreibt mit ihrem Köper aber nicht nur Kunst, die erregt, sondern sie setzt ihn auch als Markierungs- und Vermessungsinstrument ein. 1982 veröffentlicht sie ihre Fotoserie Körperfiguration. Sie erforscht darin wie sich ihr Körper an die geometrischen Formen der Wiener Stadtlandschaft anpasst. Sie legt sich an Rundungen von Brunnen, versucht mit ihrem Körper Wege zu messen oder Steinmuster nachzuahmen. Sie untersucht aber auch wie sich der Körper, eingefügt in die Natur beziehungsweise Architektur, anpasst und einordnet. Sie konstruiert eine Körpersprache, mit der sie sich mit ihrer Umgebung auseinander setzt (vgl. Schneede 2002, S. 15). Die geometrischen Formen werden zum Bezugspunkt und zum Gegenpol des Körpers gestellt. Der Körper verwandelt sich einerseits zu einem Teil des Raumes, er wird ein bloßes Element. Anderseits werden durch die Körperhaltungen Stimmungen und innere Zustände offenbart. Valie Export beschreibt diese Fotoserie als „sichtbare Externalisierungen innerer Zustände durch Konfiguration des Körpers mit seiner Umgebung“ (Export, 1992).
Auch in ihren Selbstbildnissen (1972-1982) werden mit dem weiblichen Körper geometrische Formen wie Kreis und Dreieck umschrieben. Diese Forschung weist Ähnlichkeiten mit der Proportionslehre der Antike auf. Dadurch wird der Körper in einen kulturhistorischen Zusammenhang gestellt. Sie untersucht die Zeichen der Körperhaltung und erforscht ihre historischen und gesellschaftlichen Ausprägungen. Der Körper dient ihr als Schnittstelle privater und öffentlicher Identitätsbilder (vgl. Wingarten 1997, S. 194-195).
Cindy Sherman
Eine andere künstlerische Ausdrucksform praktiziert Cindy Sherman. Ihr geht es um die fotografische Inszenierung des Körpers. Das Ausgangsmaterial ihrer Inszenierungen ist stets ihr eigener Körper. So schlüpft sie in die unterschiedlichsten Rollen und inszeniert die unterschiedlichsten Bildreihen, wobei sie nicht nur eine Rolle einnimmt, sondern auch zeitgleich als Fotografin fungiert und durch die Technik des Selbstauslösers ihr Gesamtwerk erschafft (vgl. Vogel 2006, S. 304-307).
Cindy Sherman gelingt es durch Schminke, Kostüme und unechte Körperteile Figuren und Körper zu erschaffen, mit deren Hilfe sie immer wieder neue Identitäten erfindet und imitiert. In ihren Inszenierungen relativiert sie die Wirkungen der Massenmedien. Sie kritisiert durch ihre Kunst die Gesellschaft, indem sie beispielsweise den vorherrschenden Schönheitswahn, der in den Medien täglich reproduziert wird, so weit überzieht, dass ihre Darstellungen grotesk wirken. Sie selber sagt in einem Interview dazu:
„Ich versuche in meiner Arbeit das, was als hässlich gilt, zum Ausgangspunkt einer anderen Schönheit zu machen, die hoffentlich nicht so verlogen ist.“ (Sherman 2007)
Durch ihre Beschäftigung mit den von der Gesellschaft angebotenen Rollen macht Sherman auch auf die Vielschichtigkeit einer einzigen Identität in der Veränderlichkeit ihres Körpers aufmerksam (vgl. Vogel 2006, S. 306).
Sie zeigt deutlich, dass es weder für den Mann noch für die Frau eine wahre, wirklichkeitsgetreue Abbildung des Körpers gibt, sondern dass alles und jeder in seiner Rolle und Selbstdarstellung veränderlich ist. So ist der Körper aber nicht nur veränderlich in seiner Form, sondern auch in seinen Möglichkeiten des Ausdruckes.
Cindy Sherman zeigt in ihren Arbeiten die unterschiedlichen menschlichen Gefühlsregungen, wie beispielsweise ein leerer Blick, Zweifel, Warten, Fragen, Unterwürfigkeit oder auch eine kecke Pose, um einen bestimmten Gesellschaftsstand zu charakterisieren (vgl. Vogel 2006, S. 318).
„Die meisten Modells in den Modemagazinen stoßen mich ab. Als ich mir sie einmal live und aus der Nähe ansah, schienen sie mir so anormal wie jemand mit einem dritten Auge auf der Stirn. Der kleine Kopf und der lange, dünne Körper und die perfekt symmetrischen Züge wirken einfach bizarr.“ (Sherman 2000)
Diese Aussage von Cindy Sherman verdeutlicht ihre Haltung zur ihr umgebenen Gesellschaft. Sie benutzt Kosmetik im weitesten Sinne als Maske, eine Maske zur Kennzeichnung der Weiblichkeit. Denn eine Maske verbirgt das wirkliche Gesicht, verschleiert somit die Identität und versperrt die Sicht auf die Person, die hinter dieser Maske steckt. So gelingt es ihr, bestimmte Charaktere zu produzieren und den Blick des Betrachters so auf die Schwachstellen der ihn umgebenen Gesellschaft zu lenken (vgl. Vogel 2006, S. 317-318).
Fazit
Verdeutlicht durch die Arbeiten der Künstlerinnen Rebecca Horn, Valie Export und Cindy Sherman, zeigen sich die Möglichkeiten, der unterschiedlichen Einsetzung des Körpers in der Kunst. So wird der in Szene gesetzt, um auf einen bestimmten gesellschaftlichen Aspekt kritisch aufmerksam zu machen. Dabei steht im Vordergrund der forschende Teil, der versucht durch bestimmte Stilmerkmale die prägnanten gesellschaftlichen Strömungen herauszuarbeiten, um diese widerzuspiegeln, manchmal gerade in der überzogenen Form.
Anders als in der Antike, in der der „Idealbürger“ in seiner Schönheit, Tüchtigkeit und rein äußerlichen Form dargestellt wurde, zeigt sich in der Gegenwartskunst eher das Gegenteil. Hier sind nicht mehr nur die Äußerlichkeiten vordergründig, sondern auch die Stimmungen und inneren Ausdrücke werden heraus gearbeitet, so dass der Mensch und sein Körper nicht mehr als Idealwesen fungieren muss.
Die Idee den Körper als beliebige Materie zu verwenden, brachte uns die Idee zu unserem Fotoprojekt. In diesem sollte immer aus der gleichen Entfernung der Körper von verschiedenen Personen in einzelnen Abschnitten fotografiert werden, so dass man im Nachhinein einen neuen Körper kreieren kann, der aus Teilen von unterschiedlichen Personen zusammengestellt wird. So entstanden Körperbilder, die nicht eindeutig einer Person zu zuordnen waren, sondern deren Augenmerk auf die beliebige Zusammensetzung der einzelnen Körperteile lenken sollte, die im Ganzen betrachtet, auch wieder einen gesamten Körper darstellen.
Thommen, Lukas (2007): Antike Körpergeschichte. Beltz Verlag Weinheim: Basel.
Hölscher, Tonio (1998): Aus der Frühzeit der Griechen: Räume - Körper - Mythen. Teubner: Stuttgart.
Schneede, Martina (2002): Mit Haut und Haaren. Der Körper in der zeitgenössischen Kunst. Dumont: Köln.
Vogel, Fritz, Franz (2006): The Cindy Shermans: inszenierte Identitäten.Böhlau Verlag: Köln
Internetquellen
Fischer, Eva-Elisabeth: Die Sehbidererzeugerin. http://archiv.sueddeutsche.de/b5i386/2960009/Die-Sehbilderzeugerin.html (25.06.2010)
Menz, Marguerite: Vagina mit Männerstimme. Die Künstlerin Valie Export im Genfer Musée dárt moderne et contemporain. http://www.nzz.ch/2004/08/14/fe/article9PQO0.html (25.06.2010).
Reber, Simone: Wo Kunst weh tut. http://pdf.zeit.de/kultur/2010-05/wo-es-weh-tut.pdf (25.06.2010).
Sherman, Cindy: Maske, Make-up, Schutt und Stoffe. http://www.taz.de/?id=501&art=917&no_cache=1 (25.06.2010)
Sherman, Cindy: Ihre Leichen im Keller. http://www.emma.de/hefte/ausgaben-2000/juliaugust-2000/cindy-sherman-2000-04/ (25.06.2010)
Weingarten, Susanne: Heimkehr der verlorenen Tochter. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8704559.html (26.06.2010)
Abbildungsquellen
Abb.1: Der Kouros von Tenea im Rastersystem. http://www.skulpturhalle.ch/sammlung/highlights/2006/06/kouros-tenea.html
Abb.2: Valie Export. http://www.medienkunstnetz.de/werke/abrundung/
Video: Rebecca Horn, Berlin 1974. http://www.youtube.com/watch?v=O0uNnmAudmk
Seit es die känstlerische Darstellung gibt, ist der Körper ein wiederkehrendes Thema. Künstler malen, fotografieren, filmen und modellieren Körper. Sie betreiben Forschung am und mit dem Körper. Der folgende Text bezieht sich auf den künstlerisch forschenden Ansatz. An Beispielen aus der Antike und an drei zeitgenössischen Künstlerinnen soll dies untersucht werden.
Der erste Teil dieses Textes beschäftigt sich mit der Gestaltung von Skulpturen. Die dargestellten Körper symbolisieren in dieser Epoche das Ideal des Menschen. Im zweiten Teil richten wir den Blick auf die zeitgenössische Kunst.
An den Künstlerinnen Rebecca Horn, Valie Export und Cindy Sherman wird die veränderte Körperwahrnehmung und – darstellung verdeutlicht.
Zunächst gilt zu klären, was die Begriffe Körper und Kunst für eine Bedeutung haben. Der Körper ist im biologischen Sinne der Leib, das optisch in Erscheinung tretende Material (vgl. Online-Wörterbuch Difenero, Stichwort: Körper). Dem Begriff Kunst lassen sich mehrere Bedeutungen zuordnen und folgende Definition wurde für diese Ausarbeitung als brauchar erachtet. Kunst ist ein kulturelles Tätigkeitsfeld, die Gesamtheit ästhetischer Werke sowie die Fähigkeit, bestimmte geistige oder gegenständliche Werke herzustellen (vgl. Online-Lexikon Wikipdia, Stichwort: Kunst).
Körper in der Antike
Die humanistische Tradition sieht den antiken Körper als ideales Kunstwerk. Sie konzentriert sich auf die geistigen Errungenschaften. Die körperlichen Bedürfnisse und Phänomene werden kaum thematisiert, nur soweit sie den naturwissenschaftlich-medizinischen oder gymnastischen Bereich betreffen. Jedoch widerspricht dieses der antiken Lebenspraxis und dem Weltbild der Griechen in der Antike. Zum Beispiel war die Darstellung der Nacktheit, insbesondere männlicher Körper stark verbreitet. Jedoch hatte sie wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Sie verkörperte nur ein Ideal. Die Beschäftigung mit dem antiken Körper kann als Grundlage für die Auseinandersetzung mit dem heutigen Körperverständnis dienlich sein (vgl. Thommen 2007, S. 9-14).
Die ersten großplastischen Werke entstanden in Griechenland in der archaischen Zeit des späten 7. Jh. v. Chr. Diese Werke sind von einem typisierten Menschenbild geprägt und bringen zentrale gesellschaftliche Werte zum Ausdruck. Der Mensch wird nach damaligem Glauben durch sein Abbild unvergänglich. In jener Zeit - ebenso wie in der späteren griechischen Klassik - werden die jungen Männer (Kouroi) meist nackt dargestellt, die jungen Frauen (Korai) sind dagegen mit schönen, bunt gemusterten Gewändern gekleidet und reich mit Schmuck ausgestattet. Die weiblichen Figuren haben meist eine geschlossene Körperhaltung. Die Beine sind geschlossen und die Arme eng am Körper. Unter dem Kleid tragen die Frauen den Chiton (Untergewand), was ihnen eine säulenhafte Erscheinung verleiht. Teilweise zeichnen sich leicht die Körperwölbungen ab. Die weiblichen Statuen sollen jedoch körperliche Zurückhaltung ausstrahlen, was mit der Position der damaligen Frau in Verbindung steht (vgl. Thommen, 2007, S. 29-30).
Die Nacktheit der männlichen Statuen hingegen verkörpern das Ideal der Tüchtigkeit und spiegelt damit einen charakteristischen Wesenszug des Bürgers in der Antike wider. Die Körper werden kräftig, athletisch und durchtrainiert dargestellt. Die Beine nehmen eine aktive, ausgreifende Stellung ein und sind mit starken Schenkeln ausgestattet. Der Oberkörper ist durch einen durchtrainierten Leib, einer breit gewölbten Brust und muskulöse, aktionsbereite Arme ausgezeichnet. Durch diese Darstellung steht der männliche Körper für eine gymnastische Bildung, einen erfolgreichen Krieger und Jäger. Sowohl männliche als auch weibliche Figuren haben meist langes, gelocktes Haar und ein Lächeln im Gesicht. Hierdurch werden zentrale Werte der griechischen Gesellschaft zum Ausdruck gebracht. Das Lächeln vermittelt dem Betrachter ein kommunikatives, vitales und positives Grundbefinden (vgl. Thommen, 2007, S. 29-30).
Die Statuen werden in dieser Zeit nicht nur als eine bloße Darstellung empfunden, sondern als die Wirklichkeit. Sie spiegeln die damaligen Schönheitsideale wider. Durch die Form und den Schmuck werden die Statuen förmlich zum Leben erweckt (vgl. Hölscher 1998, S. 23)
Die Proportionierung des Körpers erfolgte in der archaischen Zeit nach strengen Rastern. Die Maßeinheiten sind von den Körpermaßen abgeleitet: Fingerbreite (Daktylos), Handbreite (4 Daktylen), Fußlänge (16 Daktylen), Elle (24 Daktylen), Klafter (96 Daktylen) (vgl. Thommen 2007, S. 33-34).
Abb. 1: Der Kouros von Tenea im Rastersystem
Ein Beispiel ist der Kouros von Tenea (um 550 v. Chr.; Glyptothek München). Diese Statue kann in 30 Einheiten geteilt werden, der Kopf wird in vier Einheiten (4 x 2,5 pheidonische Daktylen) geteilt, wie in Abbildung 1 zu sehen ist. Die Strecken vom Kinn bis zur Brust, von der Brust bis zum Bauchnabel, vom Bauchnabel bis zum Glied, vom Glied bis zum Knieansatz, vom Knieansatz bis zum Schien- und Wadenbein, vom Schien- und Wadenbein bis zum Knöchel haben dasselbe Maß (vgl. Thommen, 2007, S. 33-34).
In der Antike wurde der Körper mit dem ihm verbundenen Menschenbild verglichen. Die Statuen glichen Göttern und verkörperten ein Ideal. Die Künstlerinnen Rebecca Horn, Valie Export und Cindy Sherman hingegen beschäftigen sich mit der Wahrnehmung des Körpers und dessen Verhältnis zu seiner materiellen und sozialen Umwelt.
Körper in der zeitgenössischen Kunst
In den 1960er Jahren untersuchten verschiedene Künstler auf unterschiedliche Art und Weise das Verhältnis des Körpers zu dem ihm umgebenden Raum. Diese Arbeit entwickelte sich bei manchen Künstlern zum Selbstexperiment, das in der Regel in Aktionen, Fotos, Fotosequenzen und Videos durchgeführt wurde (vgl. Schneede, Marina, 2002, S. 17).
Die Künstlerinnen Rebecca Horn und Valie Export hatten dabei ihre ganz eigenen und sehr unterschiedlichen Umsetzungen gefunden. Auch Cindy Sherman inszeniert ihren eigenen Körper und zeigt durch die Selbstinszenierung die Möglichkeiten der Darstellungen von unterschiedlichen Betrachtungsweisen, auch in Hinblick auf gesellschaftskritische Aspekte.
Rebecca Horn
Rebecca Horn entwirft Anfang der 1970er Jahre Geräte, die den Körper erweitern sollten, wie beispielsweise den Handschuhfinger. Sie selbst bezeichnete diese Instrumente als „Erweiterung der manuellen Sensibilität“.
„Die Handschuhfinger sind aus so leichtem Material, dass ich meine Finger ohne Anstrengung bewegen kann. Ich fühle, taste, greife mit ihnen und bewahre eine feststehende Distanz zu den Gegenständen die ich berühre. Ich fühle wie ich berühre, sehe, wie ich greife, und kontrolliere die Entfernung zwischen den Objekten und mir“ (Horn 1977).
Rebecca Horn, Berlin 1974
Horns Selbstversuch startete 1974 unter dem Titel „Berlin-Übungen in neuen Stücken“ und wurde mit einer 16mm Kamera gefilmt. In ihrem Experiment kann der Zuschauer verfolgen, wie die Künstlerin mit ihren verlängerten Handschuhfingern den Raum bestreitet. Der Körper bewegt sich erst dann weiter, wenn die Umgebung erfühlt wurde. In einer anderen Sequenz des Filmes steht Rebecca Horn mit den verlängernden Handschuhfingern in der Mitte eines Raumes, so dass die Finger rechts und links dessen Wände berühren. Es wird das Bild eines eingesperrten Tieres erzeugt, welches dadurch unterstrichen wird, dass sie beim vorwärtsgehen ein kratzendes Geräusch an den Wänden hervorruft. Die Frage nach der Einengung der menschlichen Existenz wird durch diese Performanz verdeutlicht (vgl. Schneede, 2002, S. 16-17).
Valie Export
„Die Kunst kann ein Medium der Selbstbestimmung sein und diese bringt der Kunst neue Werte“ (Export, 1972).
Nach diesem Vorsatz Valie Export gestaltet ihre Kunst. Im Mittelpunkt steht ihr Körper als Objekt, als Skulptur und als Leinwand. Mittels verschiedener Technologien wie Performance, Fotografie, Video, Film, Computer und Laser führt sie Untersuchungen am eigenen Leib durch, mit denen sie ihre Umwelt provoziert und schockiert. Während einer Performance besucht sie 1986 ein Pornokino und trägt ihre Aktionshose, die durch ein Loch im Schritt Aufsehen erregt sowie ein Gewehr. Sie will das vor allem männliche Publikum aufstacheln und durch den Einsatz ihres Körpers ihre gesellschaftlichen Anliegen darstellen. Die Feministin Valie Export richtet sich mit ihrer Kunst kritisch gegen das vorherrschende Patriarchat (vgl. Menz 2004, S. 1-2). Ihr Körper dient dabei als Code, als soziales Zeichen der Gesellschaft. So lässt sie sich ein Strumpfband auf den Oberschenkel tätowieren. Für sie ist diese Tätowierung eine kulturelle Inschrift, mit der sie auf die sexuelle Versklavung sowie der unentwegten Verfügbarkeit der Frau hinweisen will. Sie sieht diese Versklavung als vergänglich an, denn mit dem Verschwinden ihres Körpers, wird auch dieses Zeichen verschwinden. Damit verdeutlicht sie ein weiteres Merkmal ihrer Kunst. Sie legt es nicht darauf an, museumstaugliche Kunstwerke zu erschaffen, sondern sie setzt auf Konfrontation mit den Zusammenhängen, in denen ihre Kunst entsteht (vgl. Weingarten 1997, S. 192).
Auf dem ersten Blick wirken ihre Arrangements chaotisch, doch die Denkerin Valie Export kalkuliert sie bis ins Detail. Sie betreibt künstlerische Forschung und verdeutlicht dadurch die Zusammenhänge von Gesellschaft und Individuum, insbesonders zeigt sie, wie der/die Einzelne gesellschaftlich zugerichtet wird. Der menschliche Körper wird dabei zum Forschungsobjekt und Kunstthema. Er dient der wissenschaftlichen Recherche in Feldern wie Politik, Wirtschaft und Ökologie. Valie Export entwickelt eine Kunst, die als Instrument der Selbstbeobachtung der Gesellschaft und als Instrument der Kritik und der Analyse der sozialen Institutionen gilt (vgl. Weingarten 1997, S. 193). Sie setzt ihren Körper ein, um Grenzen zu überschreiten (vgl. Fischer 2009, S.1). Ihr Körper dient ihr aber auch als Waffe für die Suche nach weiblichem Ausdruck sexueller Selbstbestimmung. Sie gilt deswegen als Wegbestreiterin in Bezug auf die Genderfrage und trägt einen erheblichen Teil zu der Akzeptanz der Frau als Performancekünstlerin bei (vgl. Reber 2010, S. 1).
Valie Export betreibt mit ihrem Köper aber nicht nur Kunst, die erregt, sondern sie setzt ihn auch als Markierungs- und Vermessungsinstrument ein. 1982 veröffentlicht sie ihre Fotoserie Körperfiguration. Sie erforscht darin wie sich ihr Körper an die geometrischen Formen der Wiener Stadtlandschaft anpasst. Sie legt sich an Rundungen von Brunnen, versucht mit ihrem Körper Wege zu messen oder Steinmuster nachzuahmen. Sie untersucht aber auch wie sich der Körper, eingefügt in die Natur beziehungsweise Architektur, anpasst und einordnet. Sie konstruiert eine Körpersprache, mit der sie sich mit ihrer Umgebung auseinander setzt (vgl. Schneede 2002, S. 15). Die geometrischen Formen werden zum Bezugspunkt und zum Gegenpol des Körpers gestellt. Der Körper verwandelt sich einerseits zu einem Teil des Raumes, er wird ein bloßes Element. Anderseits werden durch die Körperhaltungen Stimmungen und innere Zustände offenbart. Valie Export beschreibt diese Fotoserie als „sichtbare Externalisierungen innerer Zustände durch Konfiguration des Körpers mit seiner Umgebung“ (Export, 1992).
Auch in ihren Selbstbildnissen (1972-1982) werden mit dem weiblichen Körper geometrische Formen wie Kreis und Dreieck umschrieben. Diese Forschung weist Ähnlichkeiten mit der Proportionslehre der Antike auf. Dadurch wird der Körper in einen kulturhistorischen Zusammenhang gestellt. Sie untersucht die Zeichen der Körperhaltung und erforscht ihre historischen und gesellschaftlichen Ausprägungen. Der Körper dient ihr als Schnittstelle privater und öffentlicher Identitätsbilder (vgl. Wingarten 1997, S. 194-195).
Cindy Sherman
Eine andere künstlerische Ausdrucksform praktiziert Cindy Sherman. Ihr geht es um die fotografische Inszenierung des Körpers. Das Ausgangsmaterial ihrer Inszenierungen ist stets ihr eigener Körper. So schlüpft sie in die unterschiedlichsten Rollen und inszeniert die unterschiedlichsten Bildreihen, wobei sie nicht nur eine Rolle einnimmt, sondern auch zeitgleich als Fotografin fungiert und durch die Technik des Selbstauslösers ihr Gesamtwerk erschafft (vgl. Vogel 2006, S. 304-307).
Cindy Sherman gelingt es durch Schminke, Kostüme und unechte Körperteile Figuren und Körper zu erschaffen, mit deren Hilfe sie immer wieder neue Identitäten erfindet und imitiert. In ihren Inszenierungen relativiert sie die Wirkungen der Massenmedien. Sie kritisiert durch ihre Kunst die Gesellschaft, indem sie beispielsweise den vorherrschenden Schönheitswahn, der in den Medien täglich reproduziert wird, so weit überzieht, dass ihre Darstellungen grotesk wirken. Sie selber sagt in einem Interview dazu:
„Ich versuche in meiner Arbeit das, was als hässlich gilt, zum Ausgangspunkt einer anderen Schönheit zu machen, die hoffentlich nicht so verlogen ist.“ (Sherman 2007)
Durch ihre Beschäftigung mit den von der Gesellschaft angebotenen Rollen macht Sherman auch auf die Vielschichtigkeit einer einzigen Identität in der Veränderlichkeit ihres Körpers aufmerksam (vgl. Vogel 2006, S. 306).
Sie zeigt deutlich, dass es weder für den Mann noch für die Frau eine wahre, wirklichkeitsgetreue Abbildung des Körpers gibt, sondern dass alles und jeder in seiner Rolle und Selbstdarstellung veränderlich ist. So ist der Körper aber nicht nur veränderlich in seiner Form, sondern auch in seinen Möglichkeiten des Ausdruckes.
Cindy Sherman zeigt in ihren Arbeiten die unterschiedlichen menschlichen Gefühlsregungen, wie beispielsweise ein leerer Blick, Zweifel, Warten, Fragen, Unterwürfigkeit oder auch eine kecke Pose, um einen bestimmten Gesellschaftsstand zu charakterisieren (vgl. Vogel 2006, S. 318).
„Die meisten Modells in den Modemagazinen stoßen mich ab. Als ich mir sie einmal live und aus der Nähe ansah, schienen sie mir so anormal wie jemand mit einem dritten Auge auf der Stirn. Der kleine Kopf und der lange, dünne Körper und die perfekt symmetrischen Züge wirken einfach bizarr.“ (Sherman 2000)
Diese Aussage von Cindy Sherman verdeutlicht ihre Haltung zur ihr umgebenen Gesellschaft. Sie benutzt Kosmetik im weitesten Sinne als Maske, eine Maske zur Kennzeichnung der Weiblichkeit. Denn eine Maske verbirgt das wirkliche Gesicht, verschleiert somit die Identität und versperrt die Sicht auf die Person, die hinter dieser Maske steckt. So gelingt es ihr, bestimmte Charaktere zu produzieren und den Blick des Betrachters so auf die Schwachstellen der ihn umgebenen Gesellschaft zu lenken (vgl. Vogel 2006, S. 317-318).
Fazit
Verdeutlicht durch die Arbeiten der Künstlerinnen Rebecca Horn, Valie Export und Cindy Sherman, zeigen sich die Möglichkeiten, der unterschiedlichen Einsetzung des Körpers in der Kunst. So wird der in Szene gesetzt, um auf einen bestimmten gesellschaftlichen Aspekt kritisch aufmerksam zu machen. Dabei steht im Vordergrund der forschende Teil, der versucht durch bestimmte Stilmerkmale die prägnanten gesellschaftlichen Strömungen herauszuarbeiten, um diese widerzuspiegeln, manchmal gerade in der überzogenen Form.
Anders als in der Antike, in der der „Idealbürger“ in seiner Schönheit, Tüchtigkeit und rein äußerlichen Form dargestellt wurde, zeigt sich in der Gegenwartskunst eher das Gegenteil. Hier sind nicht mehr nur die Äußerlichkeiten vordergründig, sondern auch die Stimmungen und inneren Ausdrücke werden heraus gearbeitet, so dass der Mensch und sein Körper nicht mehr als Idealwesen fungieren muss.
Die Idee den Körper als beliebige Materie zu verwenden, brachte uns die Idee zu unserem Fotoprojekt. In diesem sollte immer aus der gleichen Entfernung der Körper von verschiedenen Personen in einzelnen Abschnitten fotografiert werden, so dass man im Nachhinein einen neuen Körper kreieren kann, der aus Teilen von unterschiedlichen Personen zusammengestellt wird. So entstanden Körperbilder, die nicht eindeutig einer Person zu zuordnen waren, sondern deren Augenmerk auf die beliebige Zusammensetzung der einzelnen Körperteile lenken sollte, die im Ganzen betrachtet, auch wieder einen gesamten Körper darstellen.
Thommen, Lukas (2007): Antike Körpergeschichte. Beltz Verlag Weinheim: Basel.
Hölscher, Tonio (1998): Aus der Frühzeit der Griechen: Räume - Körper - Mythen. Teubner: Stuttgart.
Schneede, Martina (2002): Mit Haut und Haaren. Der Körper in der zeitgenössischen Kunst. Dumont: Köln.
Vogel, Fritz, Franz (2006): The Cindy Shermans: inszenierte Identitäten.Böhlau Verlag: Köln
Internetquellen
Fischer, Eva-Elisabeth: Die Sehbidererzeugerin. http://archiv.sueddeutsche.de/b5i386/2960009/Die-Sehbilderzeugerin.html (25.06.2010)
Menz, Marguerite: Vagina mit Männerstimme. Die Künstlerin Valie Export im Genfer Musée dárt moderne et contemporain. http://www.nzz.ch/2004/08/14/fe/article9PQO0.html (25.06.2010).
Reber, Simone: Wo Kunst weh tut. http://pdf.zeit.de/kultur/2010-05/wo-es-weh-tut.pdf (25.06.2010).
Sherman, Cindy: Maske, Make-up, Schutt und Stoffe. http://www.taz.de/?id=501&art=917&no_cache=1 (25.06.2010)
Sherman, Cindy: Ihre Leichen im Keller. http://www.emma.de/hefte/ausgaben-2000/juliaugust-2000/cindy-sherman-2000-04/ (25.06.2010)
Weingarten, Susanne: Heimkehr der verlorenen Tochter. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8704559.html (26.06.2010)
Abbildungsquellen
Abb.1: Der Kouros von Tenea im Rastersystem. http://www.skulpturhalle.ch/sammlung/highlights/2006/06/kouros-tenea.html
Abb.2: Valie Export. http://www.medienkunstnetz.de/werke/abrundung/
Video: Rebecca Horn, Berlin 1974. http://www.youtube.com/watch?v=O0uNnmAudmk
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