Freitag, 9. Juli 2010

Fiktive Körper - Selbstdarstellung im Internet

DB

Selbstdarsteller, oder auch Selbstperformer, spielen mit den Möglichkeiten einer fiktiven Identität. Sie suchen dabei nach einem fiktiven Körper und nicht nach einer fiktiven Person. Dieser Körper kann auf verschiedene Arten dargestellt werden, beispielsweise als Profil in einem Internetforum.
Die Selbstdarstellung spiegelt das Subjekt in der Welt durch einen performativen Akt wieder. Das bedeutet, dass der Selbstdarsteller durch seine Performance direkten Einfluss auf seine Umwelt nehmen und sie bewegen will (vgl. Bianchi 2006, S. 40).

Zu den Themen der Selbstdarstellung zählen das Ich als Person, das Ich und sein soziokulturelles Umfeld sowie das Ich in der Gesellschaft. Möchte eine Person ihr Ich präsentieren, setzt sie beispielsweise ihren Körper, ihr Leben, ihren Alltag, ihre Talente oder Interessen in Szene. Diese Attribute fungieren in dem Moment der Präsenz als Medien der Selbstdarstellung. Möchte sich die Person über ihr Ich in ihrem soziokulturelles Umfeld darstellen, ist ihr dies über ihre Herkunft, ihr soziales Wesen oder als Teil einer Community möglich. Ähnlich gestaltet sich die Präsenz des Ich einer Person in der Gesellschaft. Zum Ausdruck kann sie in diesem Fall durch die Meinung, die Einstellung oder den Konsum, den die Person pflegt, gebracht werden. Selbstdarstellungen sind dabei die Spiegelbilder der jeweiligen Gesellschaft und ihrer Zeit, der Politik bzw. der Kunst (vgl. Bianchi 2006, S. 40). Ein gutes Beispiel hierfür liefert der Künstler SIS.TM, der unter anderem mit seinem Projekt „Do you eat?“ im Internet Aufmerksamkeit erregte (siehe: http://vimeo.com/722349).

In der Selbstdarstellung wird der Versuch unternommen Privates mit Öffentlichem, Singuläres mit Allgemeinem und Individuelles mit Sozialem zu vereinen. Gleichzeitig spaltet sich das Selbst eines Individuums bei seiner Darstellung in ein Erlebendes und ein Beobachtendes (vgl. Bianchi 2006, S. 40).

Eine Ausnahme in Bezug auf diese Aufspaltung des Selbst findet sich in dem Forschungsprojekt der Künstlerin Irene Schubiger. Sie versucht Selbst- und Fremdwahrnehmung zu verknüpfen, indem sie die Trennung zwischen Darsteller und Zuschauer aufhebt. Dies gelingt ihr in der Medien- und Videokunst über das Beobachten der eigenen Person mit Hilfe eines Monitors (vgl. Schubiger 2006, S. 112f.). Dadurch gelingt ihr „[…] die Selbstvergewisserung der eigenen Existenz durch Bildschirm und Monitor statt durch soziale Fremdbeobachtung […]“ (Bianchi 2006, S. 43).

Bei der Selbstperformance geht es laut Bianchi im Allgemeinen darum eigene Lebenserkundungen zu verstehen und darzustellen. So gelingt es dem Individuum sich selbst zu benennen, statt von anderen benannt zu werden. Für die Beweisbarkeit seiner Existenz braucht das Individuum immer Momente, Orte oder Medien, die sich für die Darstellung des Selbst eignen. Jedoch spiegelt sich in dieser These ein Paradox wider, da die Existenz eines Individuums vorrangig von Distanzierung, Reflexivität und Abgrenzung abhängig ist, um sich zu unterscheiden (vgl. Bianchi 2006, S. 40).

Es gibt verschiedene Vorstellungen davon, wie ein Selbstdarsteller in Erscheinung treten kann. Nach Bianchis Theorie erfolgt die Performance des Selbst über die Rollen des Spötters, des Spassvogels, des Weisen oder des Propheten (vgl. Bianchi 2006, S.40). Demnach dürfte jedes Individuum, das sich außerhalb dieser Rollen bewegt kein Selbstdarsteller sein.

Gerhard Johann Lischkas These hingegen besagt, dass jeder durch seine Erscheinung ein Mediator -also ein Selbstperformer- ist (vgl. Bianchi 2006, S.41). Lischkas These könnte im Gegensatz zu der von Bianchi durch das metakommunikative Axiom von Paul Watzlawick untermauert werden. Dieses besagt, dass Kommunikation immer dann stattfindet, sobald mindestens zwei Personen in irgendeiner Form aufeinander treffen. Watzlawick setzt in dieser These die Kommunikation mit dem Verhalten gleich. Da es kein Gegenstück zum Verhalten im Sinne eines Nichtverhaltens gibt, impliziert dies in Bezug auf Watzlawicks Vorstellung eine Unmöglichkeit des Nichtkommunizierens (Watzlawick et al. 2000, o.S.). Eine ähnliche These vertritt auch Erving Goffman. Er sagt:

„Ein Mensch kann aufhören zu sprechen, er kann aber nicht aufhören, mit seinem Körper zu kommunizieren; er muss damit entweder das Richtige oder das Falsche sagen; aber er kann nicht gar nichts sagen“ (Goffman 1971, S. 43).

Übertragen auf die Selbstdarstellung bedeutet dies, dass durch die permanente Kommunikation von Individuen, jeder zu einem Selbstdarsteller wird.

Weiterhin beschreibt Bianchi, dass sich Selbstdarsteller um jeden Preis von allen anderen Personen abheben wollen. Dadurch gibt es in der Selbstdarstellung kein Ideal. Der Selbstdarsteller kann demnach mager, fett, hässlich oder schön sein. Sofern die Summe aller Dinge, die ihn als Person ausmachen, stimmt, ist dem Individuum die Selbstdarstellung gelungen (vgl. Bianchi 2006, S. 41). Lischka spricht an dieser Stelle vom „Selfstyle“ (vgl. Lischka 2006, S. 58).

Ebenfalls kann die Selbstdarstellung als gelungen bewertet werden, wenn der Selbstdarsteller vom Publikum bemerkt wird. Aufmerksamkeit ist deshalb so wichtig für die Selbstdarstellung, weil alles, was keine Aufmerksamkeit erfährt, nicht wahrgenommen und deshalb in Bezug auf die Selbstdarstellung als nicht existent gewertet wird (vgl. Bianchi 2006, S.45).

Da durch das Medium Internet ein weltweites Publikum angesprochen werden kann, erhöht sich die Chance hier bemerkt zu werden enorm. So hat das Internet stark an Popularität bei Selbstdarstellern gewonnen. Es eignet sich außerdem besonders gut zur Selbstperformance, da es die Bedürfnisse nach Nähe und Privatsphäre vereint (vgl. Bianchi 2006, S.42).

Deutlich wird dies innerhalb der sogenannten Chat-Räume, in denen die Teilnehmer unter selbstgegebenen Namen miteinander kommunizieren können. Was jeder Einzelne über seine Person in seinem Profil offenbart, bleibt ihm freigestellt. Damit ist die Welt als inszenierte Realität vergleichbar mit einem Schauspiel. Die sich in ihr bewegenen Individuen stellen ihre Figuren dar. (vgl. Gugutzer 2004 , S.94f.)

Einst sagte Andy Warhol jeder Mensch könne für 15 Minuten ein Star sein. Heute ist dieser Ausspruch Warhols vorrangig durch das Internet möglich geworden. Zahlreiche Weblogs inspirieren zur Selbstdarstellung. Auf YouTube kann sich jeder selbst zum Star seiner eigenen Videobeiträge erheben und virtuelle Welten, wie das Rollenspiel World of Warcraft, erlauben sogar den Experimentalraum für die „Erprobung unausgelebter Seiten des Selbst“ (Bianchi 2006, S.42). Besonders bei Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl kann diese Auslebung des Selbst wie eine Art Droge wirken. Sie geraten in eine Kette in der „ […] Selbstzweifel verfliegen, das Selbstbewusstsein steigt und die Selbstdarstellung floriert“ (Bianchi 2006, S.43).

Literatur

Bianchi, Paolo (2006): Erkenne dich selbst!. In: Kunstforum International, Band 181

Goffman, Erving (1971): Verhalten in sozialen Situationen. Strukturen und Regeln der Interaktion im öffentlichen Raum. Bertelsmann: Gütersloh

Gugutzer, Robert (2004): Soziologie des Körpers. transcript Verlag: Bielefeld

Kunstforum International, Band 181 (2006): Die Kunst der Selbstdarstellung. Herausgegeben von Bianchi, Paolo. Verlag Kunstforum: Ruppichteroth

Lischka, Gerhard Johann (2006): Selbst : Darstellung : Selfstyle. In: Kunstforum International, Band 181

Schubiger, Irene (2006): Zwischen Performance und Self-Eding. In: Kunstforum International, Band 181

Watzlawick, Paul et al (2000): Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Huber: Bern

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